Zum ehrenden Gedenken an Thomas Szasz
Rene Talbot
Zum ehrenden Gedenken an Thomas Szasz anlässlich dessen 10. Todestags
Thomas Szasz wurde am 15. April 1920 in Budapest geboren. Er verstarb vor 10 Jahren am 8. September 2012. Thomas Szasz hatte mir das Du angeboten und so werde ich ihn deshalb im weiteren Tom nennen.. Tom war bis zu seinem Tod weltweit der bekannteste lebende Psychiater. In 66 Jahren hat er 744 Abhandlungen und 36 Bücher geschrieben, es gab also nahezu monatlich eine Veröffentlichung von ihm.
Dabei hat er so ziemlich jeden Aspekt des menschlichen Daseins beleuchtet. Ihm wurden über 50 Preise verleihen. Einen Preis muss ich erwähnen, 2002 bekam er den ersten Freiheitspreis der Irren-Offensive „for throwing light on the snakepit“ – also dafür, Licht in die Schlangengrube gebracht zu haben.
Als er gefragt wurde, worin er seine wichtigsten Beiträge gesehen hat, antwortet er: „Das sind nur zwei einfache Aussagen: Es gibt keine Geisteskrankheit. Und: Wenn Sie in einer psychiatrischen Klinik eingesperrt sind, sind Sie im Gefängnis. Sie werden nicht behandelt oder geheilt.“ Intellektuellen Tiefgang hat diese Aussage deshalb, weil sie die Biologisierung und Pathologisierung von Verhalten, das angeblich von krankhaften mentalen Zuständen verursacht sei, als logischen Fehler, als Kategorienfehler verwirft. Denn Wissen über Körper wird durch physikalische Beobachtungen, Messungen und mathematische Berechnungen erlangt. Wissen über den Geist wird durch sprachliche Kommunikation und die Interpretation von Bedeutungen erlangt, es ist abhängig von Interpretationen des Verhaltens und der Ausdrucksformen anderer Personen. Erklärungen über die Seele und Erklärungen über den Körper gehören zu grundsätzlich anderen Bereichen der Kommunikation und Erkenntnis.
Folge dieser Erkenntnis ist, dass es kein psychiatrisches Wissen gibt. Damit hat Psychotherapie eher religiösen Charakter, die typischen Eigenschaften jeder Psychosekte. Die geschlossenen Abteilungen einer Psychiatrie sind ein Gefängnis, Zwangsbehandlung ist Körperverletzung, und das psychiatrische Vokabular dient nur der legitimatorischen Rhetorik, um Menschen zu stigmatisieren und aus den sozialen Beziehungen auszugrenzen, ihnen die Mitmenschlichkeit aufzukündigen.
Tom war der Champion der Selbstbestimmung Erwachsener, die aus dem Recht der erwachsenen Person, über ihren eigene Körper zu verfügen, resultiert. Daraus ergeben sich die wesentlichen Ableitungen, für die Tom steht.
- An erster Stelle steht als Abwehrrecht, das Verbot der Zwangsdiagnose, Zwangseinweisung, Zwangsbehandlung und Entmündigung. Jede medizinische Behandlung gegen den Willen wird sonst zu einer Foltermaßnahme, mögen auch noch so gute Absichten damit verfolgt werden. Wenn eine Ärztin davon abweichen sollte, sollte sie mit einem Strafverfahren wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung rechnen müssen, wenn das zur Anzeige gebracht wird. Wenn das alltägliche Rechtspraxis geworden ist, ist das gleichbedeutend mit dem Ende der Zwangspsychiatrie. Den ersten, noch individuellen, Zwischenschritt dazu hat Tom mit dem im Juli 1982 veröffentlichten Vorschlag eines „Psychiatric Will“ gemacht, der später von der Irren-Offensive etwas windschief mit „Psychiatrisches Testament“ übersetzt wurde und 2009 in der PatVerfü endlich verbindliche Rechtswirksamkeit erlangte.
- Als zweite Ableitung folgt daraus, dass es in einem Strafprozess kein psychiatrisch begründetes Kriterium der „Schuldunfähigkeit“ mehr geben darf. Auch eine Straftat kann keine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit durch Zwangsbehandlung rechtfertigen. Mit der DGSP folgt seit März dieses Jahres die in Deutschland organisierte Sozialpsychiatrie öffentlich dieser Auffassung und damit werden die Tage der Forensik gezählt sein, auch wenn die Rechtslehre noch Menschenrechte vergessen verbissen an der Zweispurigkeit des Strafregimes festhält.
Bei der forensischen Begutachtung zeigt sich besonders auffällig, wie so moralische und politische Fragen, was Schuld ist und wie die Fähigkeit, sich schuldig zu machen, verloren gehe, behauptet wird, naturwissenschaftlich und medizinisch zu beantworten und das dann psychiatrisch behandelbar sei. Das ist ganz einfach ein kapitaler Kategorienfehler, der nur der Schein-Rechtfertigung einer brutalen Sonder-Strafjustiz mit unbefristeter Einsperrung und folter-artiger Zwangsbehandlung dient. - An dritter Stelle möchte ich die Kehrseite dessen nennen, dass in der Psychiatrie mit Zwang Drogen verabreicht werden. Es ist das Verbot, bestimmte Drogen einzunehmen, weil es selbst-gefährdend sei, die Prohibition. Es geht Tom also um die Freigabe aller Drogen an Erwachsene. In dem Verbot bestimmter Drogen steckt als Ideologie die Behauptung der Psychiatrie, angeblich die Verhüterin von Selbsttötungen und die Institution zur Suizid-Verhinderung zu sein. In einem angrenzenden Punkt hat Tom darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Selbstbestimmung auch keine Sterbenachhilfe geben darf, also keine Tötung auf Verlangen, die als „Euthanasie“ bezeichnet vortäuscht, den Willen der getöteten Person, deren angebliches „Verlangen“, zu erfüllen. Hingegen war das, was Ärzte-Nazis mit dem Titel „Euthanasie“ versuchten zu vertuschen, ganz einfach systematischer ärztlicher Massenmord, am Anfang mit der Gaskammer, die anschließend nach Polen für die Gaskammern des Holocaust exportiert wurden. Später, ab 1942 bis 1948/49 wurde die Ermordung auf gezieltes Verhungern lassen, eine Tot-hunger „Diät“ von den Ärzte-Nazis umgestellt. Trotz dieser geschichtlichen Wahrheit wurde 2009 mit dem Hinweis auf eine angebliche „Euthanasie“-Gefahr versucht, die Debatte um das Patientenverfügungsgesetz in Deutschland zu manipulieren, um das Gesetz zu verhindern.
- In Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass Tom von Ärzteseite aus der Erste war, der öffentlich gegen alle Versuche eintrat, homosexuelle Handlungen zu pathologiseren und einverständlichen Verkehr unter Erwachsenen zu bestrafen. Und es darf kein Hinweis fehlen, wie Tom in vielen Schriften den Therapeutischen Staat als besondere Gefahr für die Freiheit beschrieb.
All das wäre längst eines Nobelpreises würdig gewesen. Ich weiß aber von Mantosh Dewan, dem Chefarzt der Psychiatrie in Syracuse, der inzwischen Präsident der Medizinischen Universität von Syracuse geworden ist, dass er ab 2007 zumindest versucht hat, das Nobel-Preis Komitee davon zu überzeugen, Tom einen solchen Preis zu verleihen. Leider ist Tom verstorben, bevor er mit diesem Preis hätte geehrt werden können. Aber ich hoffe, eine internationale Würdigung wird nicht so lange dauern, wie es bei Ignaz Semmelweis gedauert hat, dem ebenfalls in Budapest geborenen Erfinder der Hygiene und Lebensretter inbesondere vieler Frauen. Mindestens blieb ihm dessen Schicksal erspart, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar in der Psychiatrie erschlagen wurde.