Neuer Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter

Zitate aus einer vorläufigen Übersetzung des Berichts ins Deutsche, der von der UN in Englisch vollständig hier veröffentlicht wird.
Die für die Zwangspsychiatrie wesentlichen Teile wurden von uns fett markiert:

33. Frühere Sonderberichterstatter haben erklärt, dass „die Beurteilung des Ausmaßes an Leiden oder Schmerzen, die relativ zu den Umständen des Falles sind, erfordert dass die Umstände des Falles berücksichtigt werden, einschließlich (…) des Erwerbs oder der Verschlechterung der Beeinträchtigung als Ergebnis der Behandlung oder der Haftbedingungen des Opfers“, und dass „medizinische Behandlungen aufdringlicher und irreversibler Art“, wenn sie keinen therapeutischen Zweck haben und ohne freie und informierte Zustimmung durchgeführt oder verabreicht werden, Folter oder Misshandlung darstellen können (A/63/175, Abs.40, 47; A/HRC/22/53, Abs. 32). Aufbauend auf diesem Erbe ist der Sonderberichterstatter der Ansicht, dass die Schwelle des schweren „psychischen Leidens“ nicht nur durch subjektiv erlebtes Leiden, sondern, wenn kein subjektiv erlebtes Leiden vorliegt, auch durch objektiv zugefügten psychischen Schaden allein erreicht werden kann. In jedem Fall würde selbst unterhalb der Schwelle der Folter die vorsätzliche und absichtliche Zufügung von psychischem Schaden fast immer auf „andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ hinauslaufen.

36. Während die Auslegung von Zwecken wie „Verhör“, „Bestrafung“, „Einschüchterung“ und „Nötigung“ recht einfach ist, bedarf die Art und Weise, wie der Vertragstext auf „Diskriminierung“ eingeht, der Klärung, da es sich um die einzige Qualifizierung handelt, die nicht in Form eines absichtlichen „Zwecks“ formuliert ist. Damit diskriminierende Maßnahmen auf Folter hinauslaufen, reicht es aus, dass sie „aus Gründen, die mit Diskriminierung jeglicher Art zusammenhängen“, absichtlich schwere Schmerzen oder Leiden zufügen. Es ist daher nicht erforderlich, dass das betreffende Verhalten einen diskriminierenden „Zweck“ hat, sondern nur einen diskriminierenden „Nexus“. Im Sinne des Vertragsrechts schließt dies jede Unterscheidung, jeden Ausschluss oder jede Beschränkung aufgrund von Diskriminierung jeglicher Art ein, die entweder den Zweck oder die Wirkung hat, die Anerkennung, den Genuss oder die Ausübung von Menschenrechten oder Grundfreiheiten auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller, ziviler oder anderer Ebene gleichberechtigt mit anderen zu beeinträchtigen oder aufzuheben (A/63/175, Abs.48).

37.  Es muß betont werden, daß angeblich wohlwollende Zwecke an sich keine Zwangs- oder Diskriminierungsmaßnahmen rechtfertigen können. Zum Beispiel Praktiken wie unfreiwillige Abtreibung, Sterilisation oder psychiatrische Interventionen, die auf der „medizinischen Notwendigkeit“ des „besten Interesses“ des Patienten beruhen (A/HRC/22/53, Abs. 20, 32-35; A/63/175, Abs. 49), oder Zwangsinternierung zur „Umerziehung“ politischer oder religiöser Dissidenten, die „geistige Heilung“ von Geisteskrankheiten (A/HRC/25/60/Add.1, Abs. 72-77) oder für „Konversionstherapie“ im Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung (A/74/148, Abs. 48-50), beinhalten im Allgemeinen hochgradig diskriminierende und Zwangsversuche zur Kontrolle oder „Korrektur“ der Persönlichkeit, des Verhaltens oder der Entscheidungen des Opfers und fügen fast immer schwere Schmerzen oder Leiden zu. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters können solche Praktiken daher, wenn alle anderen definierenden Elemente gegeben sind, durchaus auf Folter hinauslaufen.

40.  In der Praxis entsteht „Machtlosigkeit“ immer dann, wenn jemand unter die direkte physische oder gleichwertige Kontrolle des Täters geraten ist und effektiv die Fähigkeit verloren hat, sich dem zugefügten Schmerz oder Leiden zu widersetzen oder sich ihm zu entziehen (A/72/178, Abs.31). Dies ist typischerweise in Situationen der physischen Haft, wie z.B. bei Festnahme und Inhaftierung, Einweisung in ein Heim, Krankenhausaufenthalt oder Internierung oder jeder anderen Form des Freiheitsentzuges der Fall. In Abwesenheit von physischer Haft kann Machtlosigkeit auch durch den Einsatz von am Körper getragenen Geräten entstehen, die in der Lage sind, per Fernsteuerung elektrische Schläge abzugeben, da sie die „vollständige Unterwerfung des Opfers unabhängig von der physischen Entfernung“ bewirken (A/72/178, Abs.51). Eine Situation tatsächlicher Ohnmacht kann ferner durch „Entzug der Rechtsfähigkeit, wenn einer Person die Ausübung der Entscheidungsfindung entzogen und Anderen übertragen wird“ (A/HRC/22/53, Abs. 31; A/63/175, Abs. 50), durch ernsthafte und unmittelbare Bedrohungen oder durch Zwangskontrolle in Kontexten wie häuslicher Gewalt (A/74/148, Abs. 32-34) erreicht werden.), durch entmündigende Medikamente und, je nach den Umständen, in kollektiven sozialen Kontexten des Mobbings, des Cyber-Mobbings und der staatlich geförderten Verfolgung, die den Opfern jede Möglichkeit nehmen, sich wirksam gegen ihren Missbrauch zu wehren oder ihm zu entgehen.

41.  Die vertragliche Definition von Folter schließt ausdrücklich „Schmerzen oder Leiden aus, die sich nur aus rechtmäßigen Sanktionen ergeben, ihnen innewohnen oder mit ihnen einhergehen“ (Art. 1 (1) CAT). Gleichzeitig stellt die Sparklausel von Art. 1 (2) CAT klar, dass diese Ausnahme nicht in einer Weise ausgelegt werden darf, die andere internationale Instrumente oder nationale Rechtsvorschriften, die Folter weiter definieren oder definieren können, beeinträchtigt. Es hat sich gezeigt, dass der Begriff „internationale Übereinkunft“ sowohl verbindliche internationale Verträge als auch nicht verbindliche Erklärungen, Grundsätze und andere „Soft-law“-Dokumente umfasst. Vor allem kann die Klausel über „rechtmäßige Sanktionen“ nur in Verbindung mit der UNO-Erklärung von 1975 richtig verstanden werden, aus der sie direkt abgeleitet ist und die nur solche rechtmäßigen Sanktionen von der Definition von Folter ausschließt, die „mit den Standardmindestregeln für die Behandlung von Gefangenen in Einklang stehen“ (Art. 1). So kann zum Beispiel keine der folgenden Methoden zur Zufügung von psychischen Schmerzen oder Leiden als „rechtmäßige Sanktionen“ angesehen werden, selbst wenn sie nach innerstaatlichem Recht zulässig ist: längere oder unbestimmte Einzelhaft, Unterbringung in einer dunklen oder ständig beleuchteten Zelle, Kollektivstrafe und Verbot von Familienkontakten.

46. Die vielleicht rudimentärste Methode der psychologischen Folter ist die bewusste und gezielte Zuführung von Angst. Die Tatsache, dass das Zufügen von Angst selbst auf Folter hinauslaufen kann, ist nicht nur durch dieses Mandat, sondern auch durch den Ausschuss gegen Folter, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den Menschenrechtsausschuss, den Interamerikanischen Gerichtshof und andere Mechanismen weithin anerkannt.

47.    In der Praxis kann Angst durch eine praktisch unbegrenzte Vielfalt von Techniken hervorgerufen werden, von denen einige zu den gängigsten gehören:

a) Direkte oder indirekte Drohungen, Folter, Verstümmelung, sexuelle Gewalt oder anderen Missbrauch zuzufügen, zu wiederholen oder zu eskalieren, auch gegen Verwandte, Freunde oder andere Häftlinge;

(b) das Zurückhalten oder die falsche Darstellung von Informationen über das Schicksal der Opfer oder ihrer Angehörigen, Scheinhinrichtungen, das Miterleben der tatsächlichen oder angeblichen Tötung oder Folter Anderer;

(c) das Hervorrufen persönlicher oder kultureller Phobie durch tatsächliche oder drohende Exposition gegenüber Insekten, Schlangen, Hunden, Ratten, ansteckenden Krankheiten usw.

(d) Verursachung von Klaustrophobie durch Scheinbegräbnisse oder Einsperren in Kisten, Särgen, Taschen und anderen engen Räumen (je nach den Umständen können diese Methoden auch fortschreitend schwere körperliche Schmerzen oder Leiden verursachen).

48.    Die extreme psychische Belastung und die enormen inneren Konflikte, die durch die Angst ausgelöst werden, werden oft unterschätzt. In Wirklichkeit kann insbesondere die längere Erfahrung von Angst lähmender und quälender sein als die tatsächliche Verwirklichung dieser Angst, und selbst die Erfahrung körperlicher Folter kann als weniger traumatisierend empfunden werden als die unbestimmte psychologische Qual der ständigen Angst und Sorge. Besonders glaubwürdige und unmittelbare Bedrohungen wurden mit schwerem psychischen Leiden, posttraumatischer Belastungsstörung, aber auch mit chronischen Schmerzen und anderen somatischen (d.h. körperlichen) Symptomen in Verbindung gebracht.

49.    Eine psychologische Methode, die in praktisch allen Foltersituationen angewandt wird, besteht darin, den Opfern gezielt die Kontrolle über möglichst viele Aspekte ihres Lebens zu entziehen, die völlige Dominanz über sie zu demonstrieren und ein tiefes Gefühl der Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und völligen Abhängigkeit vom Folterer zu vermitteln. In der Praxis wird dies durch ein breites Spektrum von Techniken erreicht, darunter vor allem:

a) willkürliches Bereitstellen, Zurückhalten oder Zurückziehen des Zugangs zu Informationen, Lesematerial, persönlichen Gegenständen, Kleidung, Bettzeug, frischer Luft, Licht, Nahrung, Wasser, Heizung oder Belüftung;

(b) das Schaffen und Aufrechterhaltung einer unvorhersehbaren Umgebung mit ständig wechselnden und unregelmäßig unterbrochenen, verlängerten oder verzögerten Zeitplänen für Mahlzeiten, Schlaf, Hygiene, Urinieren und Stuhlgang sowie Verhöre;

(c) Auferlegung absurder, unlogischer oder widersprüchlicher Verhaltensregeln, Sanktionen und Belohnungen;

(d) unmögliche Entscheidungen auferlegen, die die Opfer zur Teilnahme an ihrer eigenen Folter zwingen.

50.    Allen diesen Techniken ist gemeinsam, dass sie das Gefühl der Kontrolle, der Autonomie und der Selbstbestimmung des Opfers stören und mit der Zeit in völliger Verzweiflung und völliger körperlicher, geistiger und emotionaler Abhängigkeit vom Folterer („erlernte Hilflosigkeit“) verfestigen.

51. Eng verbunden mit der Unterdrückung von persönlicher Kontrolle, Autonomie und Selbstbestimmung, aber noch transgressiver, ist die proaktive Bekämpfung des Selbstwertgefühls und der Identität der Opfer durch die systematische und bewusste Verletzung ihrer Privatsphäre, Würde und sexuellen Integrität. Dies kann zum Beispiel Folgendes umfassen:

(a) die ständige audiovisuelle Überwachung durch Kameras, Mikrofone, Einwegglas, Käfige und andere relevante Mittel, auch während sozialer, gesetzlicher und medizinischer Besuche sowie während des Schlafs, der persönlichen Hygiene, einschließlich Urinieren und Stuhlgang;

(b) systematische herabwürdigende oder wilde Behandlung, Spott, Beleidigungen, verbaler Missbrauch, persönliche, ethnische, rassische, sexuelle, religiöse oder kulturelle Erniedrigung;

(c) öffentliches Beschämen, Diffamierung, Verleumdung, Verunglimpfung oder Enthüllung intimer Details des Privat- und Familienlebens des Opfers;

(d) erzwungene Nacktheit oder Masturbation, oft vor Beamten des anderen Geschlechts;

(e) sexuelle Belästigung durch Anspielungen, Witze, Beleidigungen, Anschuldigungen, Drohungen, Freilegung von Genitalien;

(f) Verletzung kultureller oder sexueller Tabus, einschließlich der Beteiligung von Verwandten, Freunden oder Tieren;

(g) Verbreitung von Fotografien oder Audio-/Videoaufnahmen, die zeigen, dass das Opfer gefoltert oder sexuell missbraucht wird, ein Geständnis ablegt oder sich anderweitig in kompromittierenden Situationen befindet.

52.    Es muss betont werden, dass der demütigende und erniedrigende Charakter des Missbrauchs ihn nicht unbedingt in den Bereich „anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“ verbannt, die manchmal (fälschlicherweise) als „geringeres“ Unrecht als Folter angesehen wird. Systematische und anhaltende Verletzungen der Privatsphäre, der Würde und der sexuellen Integrität führen bekanntermaßen zu schwerem psychischen Leiden, einschließlich Emotionen tiefer Verwundbarkeit, Erniedrigung, Scham und Schuldgefühlen, die oft durch die Angst vor sozialer Ausgrenzung, Selbsthass und Selbstmordgedanken noch verstärkt werden. Wie bei anderen Methoden sind daher die Absicht und Zweckmäßigkeit einer erniedrigenden Behandlung und die Machtlosigkeit des Opfers entscheidend dafür, ob sie als Folter oder andere Misshandlung eingestuft wird.

60. Abgesehen von und im Allgemeinen in Kombination mit Isolation und sozialer Ausgrenzung zielen Folterer häufig auf das Bedürfnis der Opfer nach emotionaler Beziehung durch bewusste emotionale Manipulation ab. Dies kann Methoden wie die folgenden umfassen:

Förderung und dann Verrat der emotionalen Beziehung und des persönlichen Vertrauens;

– das Provozieren von „Fehlverhalten“ durch „schuldig/schuldig“-Entscheidungen und dann das Auslösen von Schuld- oder Schamgefühlen wegen des Vertrauensverlustes des Folterers;

– Zerstören emotionaler Bindungen, indem die Opfer gezwungen werden, andere Gefangene, Verwandte und Freunde zu verraten oder sich an deren Missbrauch zu beteiligen oder umgekehrt;

– trügerische, desorientierende oder anderweitig verwirrende Informationen oder Rollenspiele.

63.    Typisch für Kontexte, die von systemischen Governance-Fehlern oder von der Verfolgung von Einzelpersonen oder Gruppen geprägt sind, verrät anhaltende institutionelle Willkür grundsätzlich das menschliche Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Vertrauen und kann je nach den Umständen schweres psychisches Leiden, eine tiefe emotionale Destabilisierung und lang anhaltende individuelle und kollektive Traumata verursachen. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters kann institutionelle Willkür oder Verfolgung, wenn sie machtlosen Personen absichtlich und zielgerichtet schwere psychische Schmerzen oder Leiden zufügt, psychische Folter darstellen oder dazu beitragen. In der Praxis ist diese Frage von besonderer, aber nicht ausschließlicher Relevanz im Zusammenhang mit der absichtlichen Instrumentalisierung willkürlicher Inhaftierung und der damit verbundenen gerichtlichen oder administrativen Willkür.

66.    Ob willkürliche Inhaftierung und damit verbundene gerichtliche oder administrative Willkür als solche auf psychologische Folter hinauslaufen, muss im Einzelfall entschieden werden. Generell gilt: Je länger eine Situation der willkürlichen Inhaftierung andauert und je weniger die Gefangenen ihre eigene Situation beeinflussen können, desto schwerer werden ihr Leiden und ihre Verzweiflung. Opfer längerer willkürlicher Inhaftierung haben posttraumatische Symptome und andere schwere und anhaltende Folgen für ihre psychische und physische Gesundheit gezeigt. Insbesondere die ständige Exposition gegenüber Unsicherheit und gerichtlicher Willkür und die fehlende, zurückhaltende oder unzureichende Kommunikation mit Anwälten, Ärzten, Verwandten und Freunden führen zu einem wachsenden Gefühl der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit und können mit der Zeit zu chronischer Angst und Depression führen.

67.    Wie der Sonderberichterstatter wiederholt sowohl im Zusammenhang mit irregulärer Migration (A/HRC/37/50, Abs. 25-27) als auch in individuellen Mitteilungen betont hat, kann es daher, wenn willkürliche Inhaftierung und gerichtliche Willkür zu Zwecken wie Nötigung, Einschüchterung, Abschreckung oder Bestrafung oder aus Gründen, die mit Diskriminierung jeglicher Art zusammenhängen, absichtlich verhängt oder aufrechterhalten wird, auf psychologische Folter hinauslaufen.

78.    Prävalenz: Psychologische Folter kommt in einer Vielzahl von Kontexten vor, darunter gewöhnliche strafrechtliche Ermittlungen, Polizeihaft, „Stop-and-Search“-Operationen, nachrichtendienstliche Ermittlungen, medizinische, psychiatrische und soziale Betreuung, Einwanderungs-, Verwaltungs- und Zwangshaft sowie in sozialen Kontexten wie häuslicher Gewalt, Mobbing, Cybermobbing und politischer oder diskriminierender Verfolgung.

83.   Arbeitsdefinitionen: Für die Zwecke der Menschenrechtsgesetzgebung sollte „psychologische Folter“ so ausgelegt werden, dass sie alle Methoden, Techniken und Umstände umfasst, die darauf abzielen oder dazu bestimmt sind, absichtlich schwere psychische Schmerzen oder Leiden zuzufügen, ohne dass die Förderung oder Wirkung schwerer körperlicher Schmerzen oder Leiden genutzt wird.  Umgekehrt sollte der Begriff „körperliche Folter“ so interpretiert werden, dass er alle Methoden, Techniken und Umgebungen umfasst, die darauf abzielen oder dazu bestimmt sind, schwere körperliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, unabhängig von der parallelen Zufügung von psychischen Schmerzen oder Leiden.

84.    Konstitutive Elemente: Im Zusammenhang mit psychologischer Folter,

(a) „Psychisches Leiden“ bezieht sich in erster Linie auf subjektiv erlebtes psychisches Leiden, kann sich aber in Ermangelung dessen auch allein auf objektiv zugefügten psychischen Schaden beziehen.

(b) Die „Schwere“ des psychischen Schmerzes oder Leidens hängt von einem breiten Spektrum endogener und exogener Faktoren ab, die alle von Fall zu Fall und unter Berücksichtigung des mit der betreffenden Behandlung oder Bestrafung verfolgten spezifischen Zwecks ganzheitlich bewertet werden müssen.

(c) „Machtlosigkeit“ bezieht sich auf die Unfähigkeit des Opfers, der Zufügung psychischer Schmerzen oder Leiden zu entkommen oder sich dagegen zu wehren, und kann nicht nur durch physische Haft, sondern beispielsweise auch durch die Einnahme von entmündigenden Medikamenten, den Entzug der Rechtsfähigkeit, ernsthafte und unmittelbare Bedrohungen und soziale Kontexte erreicht werden, die durch Zwangskontrolle, Mobbing, Cyber-Mobbing und Verfolgung gekennzeichnet sind.

(d) „Vorsatz“ ist gegeben, sobald der Täter wusste oder hätte wissen müssen, dass seine Handlungen oder Unterlassungen im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse allein oder in Verbindung mit anderen Faktoren und Umständen zu schweren psychischen Schmerzen oder Leiden führen würden.

(e) „Zweckbestimmtheit“ ist gegeben, wenn psychische Schmerzen oder Leiden zu Zwecken wie Verhör, Bestrafung, Einschüchterung und Nötigung des Opfers oder einer dritten Person oder mit einem diskriminierenden Zusammenhang zugefügt werden, unabhängig von angeblich wohlwollenden Zwecken wie „medizinische Notwendigkeit“, „Umerziehung“, „geistige Heilung“ oder „Bekehrungstherapie“.

(f) „Gesetzliche Sanktionen“ können keine Sanktionen oder Maßnahmen umfassen, die durch einschlägige internationale Instrumente oder nationale Rechtsvorschriften verboten sind, wie z.B. verlängerte oder unbefristete Einzelhaft, Sinnesmanipulation, Kollektivstrafe, Verbot von Familienkontakten oder Inhaftierung zum Zwecke der Nötigung, Einschüchterung oder aus Gründen, die mit Diskriminierung jeglicher Art zusammenhängen.

85.    Vorherrschende Methoden: Im Gegensatz zur körperlichen Folter, bei der der Körper und seine physiologischen Bedürfnisse als Mittel zur Beeinflussung des Geistes und der Emotionen des Opfers eingesetzt werden, zielt die psychologische Folter direkt auf ein oder mehrere psychologische Grundbedürfnisse ab, wie z.B.:

(a) Sicherheit (Angst, Phobie und Furcht hervorrufen)

(b) Selbstbestimmung (Beherrschung und Unterwerfung)

(c) Würde und Identität (Erniedrigung, Verletzung der Privatsphäre und der sexuellen Integrität)

(d) Umweltorientierung (sensorische Manipulation)

(e) soziale und emotionale Beziehungen (Isolation, Ausgrenzung, emotionale Manipulation)

(f) Gemeinschaftliches Vertrauen (institutionelle Willkür und Verfolgung)

86.    Qualvolle Umgebungen: In der Praxis sind Folteropfer fast immer einer Kombination von Techniken und Umständen ausgesetzt, die sowohl psychische als auch physische Schmerzen oder Leiden verursachen, deren Schwere von Faktoren wie Dauer, Häufung und persönlicher Verwundbarkeit abhängt. Die Opfer neigen dazu, Folter ganzheitlich zu erleben und darauf zu reagieren, und nicht als eine Reihe isolierter Techniken und Umstände, von denen jede einzelne auf Folter hinauslaufen kann oder auch nicht. Dementsprechend kann psychologische Folter in einer einzigen Handlung oder Unterlassung begangen werden oder aus einer Kombination oder Anhäufung mehrerer Faktoren resultieren, die einzeln und aus dem Zusammenhang gerissen, harmlos erscheinen können. Die Absicht, Zweckmäßigkeit und Schwere des zugefügten Schmerzes oder Leidens muss immer als Ganzes und im Licht der in der jeweiligen Umgebung herrschenden Umstände beurteilt werden.

87.    Herausforderungen durch neue Technologien: Um die angemessene Umsetzung des Folterverbots und der damit verbundenen völkerrechtlichen Verpflichtungen unter den gegenwärtigen und künftigen Umständen zu gewährleisten, sollte sich seine Auslegung im Einklang mit den neuen Herausforderungen und Fähigkeiten entwickeln, die sich im Zusammenhang mit den neuen Technologien nicht nur im Cyberspace, sondern auch in Bereichen wie künstliche Intelligenz, Robotik, Nano- und Neurotechnologie oder pharmazeutische und biomedizinische Wissenschaften einschließlich der sogenannten „Human Enhancement“ ergeben.