Mir droht in einem Strafverfahren die Forensik
Weil wir zwar wissen, dass die Angst vor dem Terror von Mitgefangenen in einem nichtforensischen Knast bei bestimmten Straftaten so groß sein kann, dass sie von den folgenden Überlegungen nicht aufgewogen wird, uns aber die eigene Erfahrung des Knasts fehlt, können wir keinen abschließenden Rat geben. Zwar liegt die Verantwortung für solche Misshandlungen durch Unterlassung (wie z.B. bei dem Mord in der JV Siegburg) letztlich auch beim Staat, aber diese Schuldzuweisung nutzt nichts bei der Abwägung, welchen Pfad der Verteidigung man für einen Strafprozess einschlagen soll. Mit einer von Anfang an gewieften Verteidigung hat man eine letzte Chance sich zu entscheiden, ob man im Fall einer Verurteilung nicht lieber im Knast statt in einer Forensik brummt.
Wir möchten aber Folgendes zu bedenken geben, was unserer Meinung nach gegen die Entscheidung einer Verteidigung mit Hilfe eines psychiatrisch/forensischen Gutachtens spricht:
– In der Forensik sitzt man aller Wahrscheinlichkeit nach viel länger für dieselbe Straftat, wie im Knast
– man ist einem Ärzte-Regime ausgeliefert, das willkürlich entscheiden kann und gewaltigere Machtmittel in der Hand hat, als ein Gefängnis Direktor: Die jederzeit mögliche Zwangsbehandlung mit unerwünschten Drogen, sprich Neuroleptika, die latent durch Drohung oder mit direkter Gewalt erzwungen wird. Wir meinen, diese Körperverletzungen berechtigen den institutionellen Tätern den Vorwurf der Folter zu machen.
– Die obszöne Invasion in die eigene Persönlichkeit und der Kolonialisierungsversuch durch „Therapie“, noch dazu in der Zwangssituation einer Forensik, ist nahezu übermächtig. Forensik ungebrochen zu überstehen gelingt nur ganz wenigen.
– Unbedingt zu bedenken ist: Wenn eine Verurteilung nach § 63 StGB erfolgt ist, gibt es keine Perspektive für „danach“ mehr, weil die Einsperrung praktisch willkürlich und ohne wirksame Revisionsinstanz in die Länge gezogen werden kann. Auch ein Anwalt kann einem nicht mehr wirklich helfen, weil es alleine ärztliche Willkür-Gutachten sind, die astrologisch-prophetisch über Ihr weiteres Schicksal entscheiden. Erst wenn man vielleicht doppelt so lange, wie für dieselbe Straftat im Knast, in der Schlangengrube der Forensik gesessen hat, gibt es eine Aussicht, mit dem Verweis auf die völlige Unverhältnismäßigkeit auf eine Freilassung zu hoffen (siehe dazu die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 983/04 nach 23! Jahren Forensik wegen einem Verstoß gegen das Waffengesetz, einem Diebstahl in einem besonders schweren Fall und einer Bedrohung, ohne dass dem Betroffenen ein Gewaltdelikt zur Last gelegt wurde). Eine erfolgreiche Flucht muss im Ausland ohne Papiere dauerhaft durchgestanden werden; ein Beispiel dafür hat Erich Schlatter gegeben, der sogar vom Schweizer Fernsehen dabei gefilmt wurde
Wenn man sich gegen eine Verteidigung mit Hilfe eines psychiatrischen Gutachtens entschieden hat, gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem man diese Entscheidung durchsetzen kann, wenn man wirklich konsequent dabei bleibt. Dazu gehört auch, jeden Diagnostizierungsversuch durch absolut konsequentes Schweigen (bzw. der Verweigerung mit einem Arzt überhaupt zu sprechen) zu unterlaufen, und in einer forensischen Untersuchungshaft nur Freunden Briefe mitzugeben, da auch die Briefinhalte gegen einen gewendet werden können, wenn sie durch die Zensur gehen und dann als Material für eine psychiatrische Verleumdungsdiagnose herhalten müssen.
Hilfreich, wahrscheinlich sogar notwendig ist es, dass man einen Anwalt als Verteidiger hat, der diese Strategie wirklich mit innerer Überzeugung trägt. Leider lassen sich viele Strafverteidiger noch davon blenden, dass sie mit der Verteidigung über „Schuldunfähigkeit/§ 63“ einem Prozess eine erfolgreiche Wende geben könnten. Deshalb vor einer Mandatierung des Verteidigers diesen befragen, ob er wirklich bereit ist, sich für eine solche Prozessstrategie ohne psychiatrisches Gutachten einzusetzen. Dazu gehört dann eventuell sogar eine gerichtliche Auseinandersetzung über alle Instanzen, um zu verhindern, dass man mit Hilfe des § 126a StPO zwangsbegutachtet wird. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auf das man sich dabei berufen kann, hat dieses Aktenzeichen: 2 BvR 1523/01. Der Beschluss 4 Ws 117/12 des Berliner Kammergerichts vom 30.10.2012 unterstützt diese Weigerung sich zwangsbegutachten zu lassen und stellt eine Zwangseinweisung nach § 81 Abs. 1 StPO dafür als Unrecht fest.
Eine weitere Stütze in einem Strafverfahren, in dem Sie eine Verhängung des § 63 StGB verhindern wollen, ist die folgende Dissertation von Annelie Prapolinat: „Subjektive Anforderungen an eine „rechtswidrige“ Tat bei § 63″ [Als Buch hier bestellen]. Zumindest Ihrem Verteidiger legen wir diesen Text ans Herz.
Sollten Sie für eine solche Verteidigungsstrategie keinen Verteidiger in Ihrem Umfeld finden, dem Sie auch vertrauen, dann versuchen Sie einen der Anwälte des Kartells gegen § 63 StGB zu kontaktieren. Oder Sie rufen die Forensik-Notrufnummer des Werner-Fuss-Zentrums an: 030-818 213 90. Die Hotline ist dann behilflich, eine/n geeignete/n RechtsanwaltIn zu finden. Für diese Notruf-Nummer ist es allerdings zu spät, wenn Sie schon verurteilt wurden.
(Diese Empfehlungen wurden zusammen mit unseren VertrauensanwältInnen entwickelt)
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Wer sich für eine Kritik der Forensik innerhalb der Logik der Zwangspsychiatrie interessieren sollte, also bereit ist, dem psychiatrischen Gutachten mehr als ein reines Wortgestöber zuzubilligen, der findet hier einen Beitrag der Rechtsanwältin Gabriele Steck-Bromme zum Strafverteidigertag in Köln vom 28.02.2009.
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Links zu Stellungnahmen zur Forensik und zur vertiefenden Lektüre:
2012: Video – Vorsitzender BGH Richter lobt Gert Postels Gutachten
2009: UN Hochkommissariat für Menschenrechte: Forensische Psychiatrie ist illegal
2007: Forensische Psychiatrie unvereinbar mit der Behindertenrechtskonvention, Erklärung von die-BPE
2005: Sendung des Dissidentenfunks zur Forensik
2004: Beschwerde gegen Zwangsverlegung: Pressekonferenz in der Forensik verboten
2003: FAQ Frage 13: Was gibt es zur forensischen Psychiatrie zu sagen?
2000: Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug, Bericht von Erdmuthe Theuermeister
1991: Irren-Offensive Nr. 4: „Zur forensischen Psychiatrie“
Dringend zur Lektüre empfohlener, leicht lesbarer und witziger Text von Prof. Thomas Szasz zur forensischen Begutachtung: „Der Kampf der Psychiatrie gegen strafrechtliche Verantwortung“