Kampagne Patientenverfügung: Brief an alle Abgeordneten des Bundestages

An
alle Abgeordneten des BundestagesPlatz der Republik 1
11011 Berlin

Sonntag, 10. April 2005

Sehr geehrte/r Frau/Herr Abgeordnete/r,

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshof aus dem Jahr 2003 soll nun die Patientenverfügung gesetzlich so verankert werden, dass Würde und damit einhergehende Selbstbestimmung in allen menschlichen Lebensphasen geachtet werden.

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Geschäftsstelle
Vorbergstr. 9a, 10823 Berlin
Fax: 030-782 8947
Email-Adresse WFZ
www.die-bpe.de


Bundesverband Graue Panther e.V.
www.graue-panther-berlin.de


Landesverband Psychiatrie-Erfahrener
Berlin-Brandenburg e.V.

im Werner-Fuß-Zentrum gegen Zwangspsychiatrie
Vorbergstr. 9a, 10823 Berlin
Tel.: 030-291 1001
Fax: 030-782 8947
Email-Adresse WFZ
www.psychiatrie-erfahren.de

Diese grundgesetzliche Forderung kann nur erfüllt werden, wenn
a) die Patienten-Verfügung auch in nichttödlichen Krankheits-Phasen uneingeschränkt gilt.b) die Rechtsverbindlichkeit der Verfügung gewährleistet wird: Betreuer wie Bevollmächtigte müssen an den schriftlich erklärten Willen gebunden sein.c) der im Referentenentwurf der Justizministerin vorgeschlagene § 1904 (4) wortwörtlich erhalten bleibt :
„Ein Bevollmächtigter kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, sie verweigern oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ist nicht erforderlich.“
Eine medizinische Behandlung gegen den erklärten Willen ist eine körperverletzende Zwangsbehandlung und mit den Menschenrechten unvereinbar. Als einziger Ausnahme dürfen bei ansteckenden Seuchen Internierungen vorgenommen werden, aber auch dann nur in sehr restriktiven Grenzen, wie die HIV Diskussion gezeigt hat. Zwangsbehandlung – nicht nur Internierung – ist aber auch dann mit den Menschenrechten unvereinbar. Die Diskussion über die Patientenverfügung wird an zwei Punkten lebhaft geführt: selbstverständlich muss der vorher erklärte Wille auf Unterlassung medizinischer Behandlung in nichttödlichen Krankheitsphasen gelten, wenn anerkannt wird, dass er in tödlichen Phasen gelten soll. Bei der Unterlassung von medizinischer Behandlung muss unterschieden werden, auf wessen Wunsch sie geschieht: Wird sie vom Betroffenen entweder unmittelbar oder bei Nichtäußerungsfähigkeit durch vorherige Erklärung gewünscht, so kann dies auch in einem Sterbeprozess keine passive Sterbehilfe genannt werden, weil die Person an der Krankheit und eben nicht der unterlassenen Hilfeleistung verstirbt. Es handelt sich dann um einen von der betroffenen Person erwünschten Sterbeprozess, der mit dem menschlichen Grundrecht eines Erwachsenen auf seinen eigenen Körper und damit auch auf bestrafungsfreie Selbsttötung (bzw. dessen Versuch) einhergeht. Passive Sterbehilfe bzw. unterlassene Hilfeleistung liegt nur dann vor, wenn die Hilfe zwar erwünscht, aber nicht gewährt, bzw. unterlassen wird. Sie ist und bleibt – und das muss auch so bleiben – wie aktive Sterbehilfe bzw. die Tötung auf Verlangen strafrechtlich sanktioniert.In diesem Zusammenhang in Deutschland von Euthanasie zu reden, ist eine Verhöhnung der Opfer des systematischen ärztlichen Massenmordes zwischen 1939 und 1948, der der Prototyp für die nachfolgende systematische Vernichtung der europäischen Juden, Roma und Sinti war. Denn der NS-Euphemismus „Euthanasie“ unterstellt, der Mord sei auf Verlangen der Opfer erfolgt. Wenn Kritiker der Patientenverfügung also dieses Wort für ärztlichen Massenmord gegen jene verwenden, die Patienten vor ärztlichen Zwangsmaßnahmen verteidigen wollen, dann entlarvt sich nur deren eigene perfide Argumentation.

Durch die geplante Gesetzgebung zur Patientenverfügung sollte eine Selbstverständlichkeit in Gesetzesform gegossen werden: Das alleinige Verfügungsrecht eines erwachsenen Menschen über seinen eigenen Körper und die Beschneidung der ärztlichen (All)macht auf ein dem Arzt-Patient-Verhältnis angemessenes Mass, das stets die Selbstbestimmung des Patienten gewährleistet, sie also zu keinem Zeitpunkt in Frage stellt.

Mit freundlichen Grüßen
gez. Roman Breier
gez. Stephan Groetzner
gez. Alice Halmi
gez. Uwe Pankow
gez. Trude Unruh