Folter-Gesetz, 1. Lesung in Hannover

[Zur Information und Weiterverbreitung, Kommetare in rot von uns]

Transparent: "Gewaltfreie Psychiatrie jetzt"Aus dem Protokoll der 31. Plenarsitzung des 17. Niedersächsischen Landtags, Hannover, am 26. März 2014:

Tagesordnungspunkt 4:
Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes- Gesetzentwurf der Landesregierung – Drs. 17/1277
Miriam Staudte (GRÜNE)……………………………..S. 2827
Volker Meyer (CDU) …………………………………….S. 2828
Marco Brunotte (SPD) …………………………………S. 2830
Sylvia Bruns (FDP)……………………………………….S. 2831
Cornelia Rundt, Ministerin für
Soziales, Gesundheit und Gleichstellung…….S. 2832
Ausschussüberweisung………………………………..S. 2833

Zur Einbringung hat sich die Kollegin Miriam Staudte von Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Frau Staudte, Sie haben das Wort.

Miriam Staudte (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten!
Die Landesregierung hat einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugs vorgelegt, über den wir jetzt in erster Lesung beraten. Beim Maßregelvollzug geht es um die Behandlung von psychisch kranken oder suchtkranken Straftätern. Hier besteht Regelungsbedarf, weil das Bundesverfassungsgericht im März 2011 aufgrund der Klage eines in Rheinland-Pfalz einsitzenden Patienten im Maßregelvollzug festgestellt hat, dass für den Maßregelvollzug neue Voraussetzungen geschaffen werden müssen.
(Vizepräsident Klaus Bachmann übernimmt den Vorsitz)
Das Gericht hat ausgeführt, dass unter den bisherigen Voraussetzungen – faktisch gab es keine Regelungen – medikamentöse Zwangsbehandlungen nicht erlaubt sind, und uns aufgegeben, diese Regelungen entsprechend einzuschränken.
[Das ist eine faustdicke LÜGE – das BVerfG hat gerade KEINE Forderung nach einem Gesetz gestellt, siehe hier. Es ist nur der Wunsch der Politiker und des Richter/Ärztefilzes nach Gewalttätigkeit !! Kommentar wfz]
Darauf reagiert Niedersachsen jetzt. Da das Ganze eine sehr schwierige Materie ist, hat das einige Zeit gedauert. Auch die alte Landesregierung hatte damit schon zwei Jahre zutun. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, solche Zwangsmedikationen stellen schwerwiegende Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und in die Selbstbestimmung dar.
Darüber gilt es nachzudenken. Es ist in gewisser Weise paradox. Das Grundgesetz gesteht uns so etwas wie ein Recht auf Krankheit zu. Um es mit einem Beispiel aus der Somatik zu verdeutlichen: Wir können keinen Krebspatienten dazu zwingen, sich behandeln zu lassen. Das geht nicht. Wenn es aber um psychische Krankheiten geht, ist das Ganze schon etwas schwieriger. Schließlich könnte das Recht auf Nichtbehandlung unter Umständen die Rechte anderer Menschen einschränken, etwa die Rechte von Mitpatienten oder Mitbewohnern, die Rechte des Personals oder die Rechte der Allgemeinheit.
[Das ist eine faustdicke LÜGE – das BVerfG hat explizit festgestellt, dass Fremdgefährdung gerade KEIN Grund für Zwangsbehandlung sein kann. Es ist also nur der Wunsch der Politiker und des Richter/Ärztefilzes nach dieser Gewalttätigkeit !! Kommentar wfz]
Das Niedersächsische Maßregelvollzugsgesetz hat hier bisher keine konkreten Rahmenbedingungen gesetzt. Man muss davon ausgehen, dass die Zwangsmedikation nicht Ultima Ratio, sondern Prima Ratio war. Aber das können wir natürlich nicht akzeptieren.
(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])
Die Reaktionen auf das Urteil waren insofern auch sehr unterschiedlich. Sie reichten vom Beifall der Betroffenen bis zu wutentbrannten Protesten gegenüber dem Gericht. In den Psychiatrien herrschte eine große Behandlungsunsicherheit. Man wusste nicht, ob die Zwangsbehandlung nun grundsätzlich verboten ist. Die Patienten haben den Verzicht darauf eingefordert, und in der Folge wurden viele Medikationen auch tatsächlich abgesetzt. Auf der anderen Seite stieg allerdings die Anzahl von Zwangsfixierungen – was natürlich nicht Sinn der Sache war.
Es geht jetzt also darum, die Möglichkeit zu schaffen, abzuwägen und die Verhältnismäßigkeit einer Zwangsmedikation zu prüfen. Es geht darum, dass Entscheidungsabläufe dokumentiert werden, und darum, dass intensive Gespräche mit dem Patienten selbst stattfinden. Letztlich geht es darum, seinen Willen zu erkennen und in den gesunden Phasen die Zeit zu nutzen, um das Ganze gemeinsam zu erarbeiten.
(Glocke des Präsidenten)
Ich denke – meine Zeit ist leider abgelaufen -,
(Heiterkeit)
dass wir im Ausschuss sehr intensiv darüber debattieren müssen und dass wir auch eine mündliche Anhörung zu dieser Thematik brauchen. Letztendlich geht es hier auf beiden Seiten um Menschenrechte: bei den Patienten wie auch bei den anderen Betroffenen.
[LÜGE siehe Kommetnar oben, wfz]
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann:
Vielen Dank, Frau Kollegin Staudte.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, wie wir zeitlich dastehen; Herr Klare als bisheriger Sitzungspräsident hat das eben deutlich gemacht. Deswegen bitte ich die Fraktionen, ihre Redezeit auch tatsächlich einzuhalten. Wenn eine Fraktion, wie eben geschehen, freiwillig ihre Redezeit zu diesem Punkt kürzt, dann sollte sie sich auch an diese Kürzung halten.
Das Wort hat jetzt für die CDU-Fraktion der Kollege Volker Meyer. Bitte schön, Herr Meyer!

Volker Meyer (CDU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Frau Staudte hat es eben schon ausgeführt: Mit seinen Grundsatzbeschlüssen vom März und Oktober 2011 hat das Bundesverfassungsgericht zu den rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen der Zwangsbehandlung in der psychiatrischen Unterbringung sowie zu den Grundsätzen der Unterbringung psychisch Kranker nach geltendem Recht in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg grundsätzlich Stellung genommen und dabei in seinen Entscheidungen auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen vorgenommene medizinische Zwangsbehandlung in schwerwiegender Weise in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreift. Somit wurden die beklagten Vorschriften für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Diese Grundsatzentscheidung wirkt sich natürlich auch auf die vergleichbaren Regelungen in Niedersachsen aus.
Dennoch hält das Bundesverfassungsgericht die Zwangsmedikation nicht generell für unzulässig.
Die grundsätzlich geschützte Freiheit der Krankheit könne nämlich nicht vollkommen losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Grundrechtsträgers zur freien Willensentscheidung gewichtet werden. Der Gesetzgeber ist deshalb berechtigt, solche Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Patienten ausnahmsweise zu ermöglichen, die darauf zielen – das ist von Ihnen auch angesprochen worden -, die derzeit mangelnden tatsächlichen Voraussetzungen der freien Selbstbestimmung des Untergebrachten wiederherzustellen und den Betroffenen entlassungsfähig zu machen. Eine Zwangsbehandlung kann dabei allerdings nur im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn strenge Anforderungen an ihre Zulässigkeit beachtet werden. Diese Anforderungen müssen unbedingt in hinreichend klarer Weise gesetzlich geregelt sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir jedoch absolut unverständlich, dass es bis heute gedauert hat, dass die Landesregierung diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat.
(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Die Versorgungssituation im Maßregelvollzug – das ist Ihnen im Oktober letzten Jahres in der Ausschusssitzung sehr deutlich gesagt worden – hat sich durch die medikamentöse Nichtbehandlung von Patienten stark erschwert. Einwilligungsunfähige Patienten unterliegen massiven negativen Folgen. Nach den vorliegenden Daten ist es zu einem deutlichen Anstieg an gewalttätigen Zwischenfällen, z. B. Übergriffen auf Mitpatienten und Mitarbeiter der Einrichtungen, und zu einer erheblichen Zunahme der Anzahl von Separierungen und mechanischen Fixierungen gekommen. [Das ist eine faustdicke LÜGE – Der Bericht der Besuchskommisssion hat genau das Gegenteil dokumentiert, siehe: Drucksache 17/495 Seite 14! Kommentar wfz]
Der vorliegende Gesetzentwurf mit seinen Regelungen zur Behandlung der Anlasskrankheit, zur Zulässigkeit der Behandlung der Anlasskrankheit bei einwilligungsfähigen und einwilligungsunfähigen Personen sowie seinen Vorschriften zur Behandlung in einer in der Anlasskrankheit begründeten gegenwärtigen erheblichen Gefahr und Regelungen zu sonstigen Behandlungen bewegt sich in dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen strengen Rahmen. [LÜGE siehe Gutachten Narr/Saschenbrecker , Kommentar wfz]
Im Rahmen der Ausschussberatungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es aus unserer Sicht aber noch einige Punkte, die es zu klären gilt:
Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur die Regelungen für die Zwangsbehandlung, sondern auch die für die Zwangsuntersuchungen für verfassungswidrig erklärt. Da dieser Gesetzentwurf sich bei der Behandlung Einwilligungsunfähiger nicht auch auf die Regelungen zu deren Untersuchung erstreckt, ist zu befürchten, dass die bestehenden Regelungen zur Zwangsuntersuchung Untergebrachter ebenfalls für verfassungswidrig erklärt werden.
(Beifall bei der CDU)
Zweitens ist es als problematisch zu bewerten, dass sich der Entwurf nur auf die Behandlung der Anlasskrankheit bezieht und keine Regelungen für die Behandlung daraus resultierender somatischer Erkrankungen enthält. Hier muss es gerade in Fällen einer gegenwärtigen erheblichen Gesundheits- oder Lebensgefährdung zu einer gesetzlichen Regelung kommen.
(Beifall bei der CDU)
Drittens müssen wir darüber diskutieren, ob dann, wenn eine Selbstbestimmungsfähigkeit bei einwilligungsunfähigen Untergebrachten nicht mehr erreichbar ist, auch eine Zwangsbehandlung mit dem Ziel des Gesundheitsschutzes vor erheblichen Gefahren zulässig ist.
Viertens ist zu prüfen, ob die Behandlung ohne Einwilligung eines Betreuers mit höherrangigem Bundesrecht, nämlich dem Betreuungsrecht, vereinbar ist oder ob dieses vielleicht sogar verfassungsrechtlich bedenklich sein kann.
Fünftens sollten wir noch einmal über folgende Problematik nachdenken, nämlich darüber, ob es nicht hilfreich sein kann, in das Niedersächsische Maßregelvollzugsgesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach forensisch-psychiatrische Kliniken verpflichtet sind, Patienten der forensischen Ambulanz vorübergehend aufzunehmen, wenn die Patienten dieses wünschen und beantragen.
Sechstens muss der Gesetzentwurf noch um die Regelung zur Kameraüberwachung in allgemein genutzten Räumen einerseits und in Patientenzimmern andererseits ergänzt werden.
(Beifall bei der CDU)
Sehr geehrte Frau Ministerin, die von Ihnen vorgelegte Kostenschätzung ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar. Es geht nicht, wie von Ihnen dargestellt, um einige wenige Untergebrachte mit wahnhaften Störungen – was auch immer Sie darunter verstehen -, sondern um eine zunehmende Anzahl an Betroffenen vor allem mit psychotischen Störungen und zusätzlichen sozialen Problemen und Suchtproblemen. Unterstellt man vorsichtig den Erfahrungswert aus der Allgemeinpsychiatrie, demzufolge rund 5 % der Aufnahmen mit einer Zwangsbehandlung einhergehen, und berücksichtigt man die Zahl von Untergebrachten, die sich nach neuer Rechtslage gegen eine Fortsetzung der bisherigen Behandlung entscheiden, dann wird
es hier nicht nur um wenige Einzelfälle gehen.
Wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen: Meine Ausführungen haben deutlich gemacht, dass dieser Gesetzentwurf noch einige an Diskussionen mit sich bringt. Wir müssen diese Dinge unter Würdigung der geltenden Rechtsprechung zum Wohle der Untergebrachten, aber auch zum Schutz der Mitpatienten und der Mitarbeiter der Einrichtungen und unter Beachtung des Allgemeinwohls gegeneinander abwägen. Ich denke, dazu haben wir in der Ausschussdiskussion genug Gelegenheit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann:
Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. Vorbildlich! Sie haben Redezeit eingespart. Das geht also auch.
(Miriam Staudte [GRÜNE]: Bei den großen Parteien ist das auch einfacher, Herr Präsident! – Gegenruf von Ulf Thiele [CDU]: Dann müssen Sie sich keine Zeit abziehen!)
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Brunotte. Sie haben das Wort.

Marco Brunotte (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
In Niedersachsen gibt es 1 300 psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter, die sich im Maßregelvollzug befinden. Mit der Novelle des Maßregelvollzugsgesetzes nimmt das Land Niedersachsen die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011 auf. Herr Kollege Meyer, bei aller Kritik, die Sie hier gerade am Verfahren geäußert haben: Ich empfehle Ihnen, dass Sie in Ihrer Fraktion einmal diskutieren, warum Sie es während Ihrer Regierungsverantwortung, die bis zum Januar 2013 ging, innerhalb von zwei Jahren nicht geschafft haben, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen und für eine grundlegende Klärung zu sorgen. Wir machen das jetzt. Das zeigt, dass diese Landesregierung die Themen im Land anpackt.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Norbert Böhlke [CDU]: Sonst kämen Sie ja auch vor Arbeit gar nicht vom Fleck!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die bisherige Rechtslage besagt, dass eine medikamentöse Zwangsbehandlung nicht oder nur in sehr engen Grenzen mit den Grundrechten vereinbar ist. Hierfür sind Voraussetzungen zu schaffen, die unter besonderer Berücksichtigung des Artikels 2 Abs. 2 des Grundgesetzes die körperliche Unversehrtheit im Auge haben. Wir reden in Niedersachsen über 10 bis 20 Patienten im Jahr, die sich im Maßregelvollzug im Rahmen der zuvor geschilderten Rechtslage einer Zwangsbehandlung unterzogen haben und für die wir jetzt eine Lösung finden müssen. Wir befinden uns dabei in einem Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Nichtbehandlung und der medizinisch und behandlerisch indizierten Notwendigkeit einer Behandlung und müssen in der Diskussion einen Weg finden, der rechtssicher und verfassungskonform ist, der sich in den vorgegebenen engen Grenzen bewegt und der nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Bediensteten im Maßregelvollzug eine wichtige Grundlage für ihr Handeln ist. Es geht um die Stärkung von Patientenrechten bei einer gleichzeitigen größtmöglichen Beschränkung zwangsweiser Behandlung. Die Anhörung, die das Ministerium mit den Verbänden durchgeführt hat, zeigt auch, dass hier Ergebnisse mit aufgenommen wurden. Ich glaube, es ist ein guter Weg, die Prognosekommission mit Rechten auszustatten und dieses Instrument zu nutzen. Wir bewegen uns – das ist in der Fachszene ein Diskussionsstand, der, glaube ich, auch noch einmal in der Diskussion, die wir jetzt parlamentarisch führen, mit berücksichtigt werden muss – in einem Rahmen, der natürlich davon geprägt ist, dass seit dem Jahr 2011 keine  Zwangsbehandlungen durchgeführt werden durften und dass man sich somit in der Praxis natürlich auch auf diesen Rahmen eingestellt hat. Deswegen sind neue Behandlungsstrukturen gefunden worden,die sicherlich dort erhalten werden sollen, wo sie sinnvoll sind. [Hört, Hört! Kommentar wfz]
Gleichzeitig geht es darum, dort, wo eine Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen des Patienten erforderlich ist, diese im engen Rahmen möglich zu machen [Das beweist eines: Ihren Gewalttätigkeitswunsch Herr Brunotte, Kommenter wfz]. Das gilt es mit darzustellen. Wir werden uns – ich habe schon zu Beginn gesagt, es ist eigentlich seit dem Jahr 2011 angezeigt, diese so wichtige Gesetzesänderung durchzuführen – die Zeit nehmen, die dafür erforderlich ist, weil wir hier über eine elementare Grundrechtseinschränkung reden. Ich möchte dabei an die Diskussion zum Therapie- und Unterbringungsgesetz in der letzten Legislaturperiode und vor allem an die Bedenken erinnern, die vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst zu diesem Gesetzgebungsvorhaben vorgebracht wurden, und ich glaube, dass wir uns hier – im Vergleich zum Ministerium – in der parlamentarischen Beratung auch in einer anderen Qualität bewegen müssen.
Ich will auch hier auf das hinweisen, was wir uns vorletzte Woche in Italien angesehen haben, wo man im Bereich der Psychiatrie seit Jahrzehnten andere Wege geht, als wir das tun. Dort hat man den gesamten Bereich der Psychiatrie in großen Teilen enthospitalisiert. Ich glaube, es muss auch Thema sein, wie andere mit der Situation umgehen. Wenn wir über Maßregelvollzug reden, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann muss aber auch darüber geredet werden,dass dieser besonders geschützte Bereich durch die damalige schwarz-gelbe Landesregierung einer harten Privatisierung unterzogen wurde. Im Jahr 2007 sind acht psychiatrische Krankenhäuser mit 5 000 Beschäftigten privatisiert worden. Ich will die Diskussion, die der Landesrechnungshof mit uns darüber geführt hat, ob der Verkaufspreis angemessen war, an dieser Stelle nicht führen.
Aber ich möchte auf das Urteil des Staatsgerichtshofs in Bückeburg Bezug nehmen, das zur Änderung des damaligen Maßregelvollzugsgesetzes geführt hat, weil es in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Das führte ja dazu, dass die 14erTeams aus Verwaltungsvollzugsbeamten eingeführt werden mussten, um die Grundrechteinschränkungen, die im Maßregelvollzug vorgenommen wurden, mit zu legitimieren und hier deutlich zu machen, dass auch im Maßregelvollzug der Staat eine besondere Rolle spielt. Dies werden wir bei der Novelle des Maßregelvollzugsgesetzes natürlich zu berücksichtigen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir gehen jetzt in die Beratungen im Sozialausschuss. Wir sollten uns dort ausreichend Zeit für die Beratungen nehmen und sie auch mit einer breit angelegten Anhörung begleiten, um die Diskussionen fundiert führen zu können. Wir möchten uns dabei auch noch einmal sehr auf die Expertise des GBD stützen, weil dies in den vorherigen Beratungen im Zuge dieser Gesetzgebungsverfahren im Sozialausschuss sehr hilfreich war. Und im Übrigen gilt sicherlich auch hier das Struck’sche Gesetz.
Ich will aber trotzdem hervorheben, dass das, was der Gesetzentwurf deutlich macht, über die Verbandsbeteiligung eingeflossen ist: dass der vorgelegte Entwurf auf breite Unterstützung durch die Fachszene trifft, dass er als ein sehr ausdifferenzierter Entwurf gelobt wird, der eine schwierige Materie behandelt. Das möchte ich auch sehr wohlwollend hervorheben und jetzt schon unsere Unterstützung in den großen Linien, bevor wir in die grundlegende Beratung eingetreten sind, signalisieren.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
– Genau. Ich finde, das kann dann auch einmal als Lob für das Ministerium deutlich werden. Für uns gilt in den nächsten Monaten Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Es ist ja das erste Gesetzgebungsverfahren, in dem wir uns mit Zwangsbehandlung im Bereich Psychiatrie und Maßregelvollzug auseinandersetzen. Das Ministerium hat bereits angekündigt, dass auch die Novelle des Niedersächsischen PsychKG ansteht, bei dem es auch darum gehen wird, dieses Thema mit zu regeln. Wir begrüßen das sehr. Die Landesregierung zeigt, dass sie die Themen anpackt und für rechtssichere Lösungen sorgt. Vielen Dank dafür.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann:
Vielen Dank, Herr Kollege Brunotte. Auch Sie haben uns eine kleine Zeiteinsparung geschenkt. – Jetzt spricht für die FDP-Fraktion die Kollegin Sylvia Bruns. Sie haben das Wort.

Sylvia Bruns (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Gesetzentwurf zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes ist zwingend notwendig. Das haben auch meine Vorredner schon deutlich gemacht. Durch das Bundestherapieunterbringungsgesetz und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März zur  Zwangsbehandlung in Einrichtungen des niedersächsischen Maßregelvollzugs ist eine Anpassung in der Landesgesetzgebung unabdinglich geworden. Wir brauchen an dieser Stelle Rechtssicherheit. Der Gesetzgeber muss hier zwingend rechtliche Sicherheit zum Schutz der Patienten geben.
Wegweisend war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es stellt in seinem Beschluss fest, dass die medizinische Zwangsbehandlung einer untergebrachten Person gegen ihren natürlichen Willen in ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreift. Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes schützt in besonderem Maße die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Es gilt also für uns, zunächst einmal dieses hohe Gut eines jeden Menschen zu schützen.
(Beifall bei der FDP)
Medizinische Zwangsbehandlungen mit Neuroleptika, aber auch operative Eingriffe und sonstige Zwangsmedikation stellen einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit dar. Der Gesetzgeber muss also zwingend eine Abwägung zwischen dem Zwangseingriff und dem Recht auf freie Selbstbestimmung, dem grundrechtlichen Interesse, namentlich dem Freiheitsinteresse des Betroffenen, vornehmen. Diese Abwägung muss dringend vor dem Hintergrund geschehen, dass ein Teil der Betroffenen aufgrund der Erkrankung, die zu ihrer Unterbringung geführt hat, eine freie Willenserklärung nicht mehr abgeben kann. Wenn die untergebrachte Person krankheitsbedingt nicht zur Einsicht fähig ist oder wenn sie krankheitsbedingt die nur mit einer Behandlung gegebenen Chancen zur Heilung nicht erkennen kann, darf ausnahmsweise – unter wirklich sehr engen Voraussetzungen – ein Eingriff in ihre Grundrechte erfolgen. Sobald aber die Fähigkeit zur Selbstbestimmung wiederhergestellt ist, muss gesichert sein, dass sie wieder frei entscheiden kann. Sie muss frei entscheiden können, ob sie eine weitere Behandlung wünscht, sie hat aber auch einfach das Recht und die Freiheit zur Krankheit.
(Beifall bei der FDP)
An dieser Stelle wird deutlich, dass eine Zwangsbehandlung nur eine Ultima Ratio ist [dann darf aber auf KEINEN Fall ein Gesetz dafür gemacht werden, weil ein Gesetz den Regelfall regelt! Für den absoluten Ausnahmefall sind z.B. die Notstandsgesetze, z.B. beim Abschuss einer Passagiermaschine. Kommentar wfz].
Das ist das, was ja auch meine Vorredner gesagt haben.
(Zustimmung von Christian Grascha [FDP] und von Filiz Polat [GRÜNE])
So müssen in dem Gesetz folgende Punkte aufgenommen sein: klare Kriterien, wann der Grundrechtseingriff in wirklich engen Grenzen zulässig ist, unbedingt der Terminus „Ultima Ratio“ und: die Behandlung muss erfolgversprechend sein.
Als Drittes möchte ich noch die verfahrensrechtlichen Sicherungen anführen. Dazu gehört für den Betroffenen eine rechtzeitige Ankündigung, sodass noch Rechtsschutz geltend gemacht werden kann, und sobald die Behandlung angeordnet worden ist, muss sie von einer neutralen Stelle geprüft und bestätigt werden.
Dazu möchte ich im Ausschuss noch gern darüber sprechen, ob wir den Richtervorbehalt wieder einfügen, und ein weiteres Thema wäre noch die Beratung durch die externe Stelle. Uns allen muss nur klar sein: Das Gesetz lässt einen massiven Grundrechtseingriff zu. Zum Schutz der Betroffenen müssen wir alle genau festlegen, wann wir den Eingriff zulassen. Und noch einmal: Der Eingriff muss Ultima Ratio sein.
Zum Schluss möchte ich mich noch meinen Vorrednern anschließen: Ich halte eine Anhörung im Ausschuss ebenfalls für zwingend notwendig, damit wir das Gesetz gut und für die Betroffenen sicher auf den Weg bringen. Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP – Zustimmung bei der CDU und von Filiz Polat [GRÜNE])

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann:
Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie haben mich nicht einmal gezwungen, die letzte Minute einzuläuten. Vielen Dank für den Beitrag zur Zeiteinsparung.
Wenn Frau Ministerin uns nicht zurückwerfen will, dann hält sie sich an die Redezeit von vier Minuten, die der  Landesregierung vorgegeben ist. Frau Ministerin Rundt, Sie haben das Wort.

Cornelia Rundt, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung:
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich kann mich nicht erinnern, dass Ministerinnen und Minister dieses Parlament jemals zurückgeworfen hätten.
(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN – Lachen bei der CDU und der FDP – Björn Thümler [CDU]: Ständig! – Miriam Staudte [GRÜNE]: Das war vor Ihrer Zeit!)
– Natürlich nicht seit 2013. – Damit sind wir schon bei den Jahreszahlen. Im März 2011 gab es, wie eben erwähnt, das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Notwendigkeit zur Änderung des Maßregelvollzugsgesetzes beinhaltete. Als wir im Februar 2013 die Regierung übernahmen, habe ich etwas spärliche und widerwillige Vorbereitungen zu einer solchen Gesetzesänderung vorgefunden. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf zur Änderung des Maßregelvollzugsgesetzes vorgelegt.
(Ulf Thiele [CDU]: Sie haben ein Jahr gebraucht und ein Jahr lang nichts getan!)
Wir haben bei den Diskussionen insbesondere nicht aus dem Auge verloren, dass es um die Grundrechte von erkrankten Menschen geht und dass in den Einrichtung in die Grundrechte von erkrankten Menschen deutlich zu ihrem Wohle eingegriffen werden soll. Regierungsverantwortung bedeutet auch, dass den Bediensteten in den Einrichtungen, die eine sehr schwere Arbeit mit psychisch Erkrankten leisten, Handlungssicherheit gegeben und ihnen auch der Rücken gestärkt werden muss. [Aha – jetzt ist die Katze aus dem Sack, den Folterern soll der Rücken gestärkt werden, darum, nur darum geht es! Kommentar wfz]
Zukünftig wird bei den Entscheidungen über eine Zwangsbehandlung zwischen dem Recht der freien Selbstbestimmung und einer mangelnden Einsichtsfähigkeit der Betroffen abzuwägen sein. Zwangsbehandlungen sollen unter sehr engen Voraussetzungen zulässig sein. Außerdem wollen wir das Gesetz an die Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Patientenverfügung anpassen. Ziel ist es immer, zu verhindern, dass Menschen, die nicht einsichtsfähig oder einwilligungsfähig sind, sich oder andere gefährden. Gleichzeitig wollen wir dieses Gesetz, das noch in der Fassung von 1982 vorliegt, redaktionell an die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Rechtssprache durch Verwendung von geschlechtsneutralen Personenbezeichnungen anpassen. Wir werden Unstimmigkeiten des Wortlautes beseitigen und die Bezüge zu anderen Rechtsvorschriften aktualisieren.
Was die Kosten betrifft, so können wir diese nach der Änderung des Gesetzes im Jahr 2014 aus dem Haushalt erwirtschaften. Denn es geht zumindest überwiegend um Sachverständigenkosten. Ab dem Haushaltsjahr 2015 werden wir die erforderlichen Haushaltsmittel separat einsetzen.
Ich freue mich, dass alle Fraktionen den Gesetzentwurf für wichtig halten. Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss und gehe davon aus, dass sie konsensorientiert sein werden. Ich denke, dass sowohl die betroffenen Menschen als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen dies verdient haben. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann:
Vielen Dank, Frau Ministerin. Sie haben wahr gemacht, was Sie in Ihrem Einleitungssatz angekündigt haben. Sie haben die Zeit unterschritten. Meine Damen und Herren, damit beenden wir die erste Beratung zu diesem Gesetzentwurf und kommen zur Ausschussüberweisung.
Federführend soll, so empfiehlt es Ihnen der Ältestenrat, der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration – so heißt er noch – befasst werden, mitberatend der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen sowie der Ausschuss für Haushalt und Finanzen.
Wer sich dem anschließen kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Es war nicht ganz klar, aber die Zahl von mindestens 30 Stimmen wurde erreicht, die für eine Ausschussüberweisung benötigt wird.
Diese Zahl wurde sogar deutlich überschritten.
Tagesordnungspunkt 4 ist damit abgeschlossen.