FOCUS über neue Forschungen zur Geschichte der Psychiatrie

Focus Online berichtet über die Forschungsergebnisse von Volker Roelcke und Hans-Walter Schmuhl über die Geschichte der deutschen Psychiatrie:

„Das ist eben gerade bestürzend, dass man das nicht einfach abtun kann als Pseudowissenschaft. Die Fragestellungen selbst waren in der Zeit aktuell, sie wurden auf internationalen Tagungen verhandelt.“ Und weiter meint Roelcke. „Das Brutale und völlig Unakzeptable an dieser Forschung ist, dass hier für vermeintlich relevante und drängende Fragestellungen Versuchspersonen benutzt worden sind wie Tiere.“…
„Mit manchen Ergebnissen dieser Menschenversuche glänzen deutsche Psychiater und Neuropathologen nach dem Krieg im In- und Ausland. Doch wenige ahnen, wie die Erkenntnisse zustande gekommen sind, sagt der Medizin-Historiker Roelcke. „Nach 1945 ist wiederholt gesagt worden, diese Forschung ist an Großtieren geschehen. Damit waren dann Schweine gemeint oder Menschenaffe, so hat man versucht, den Sachverhalt zu verschleiern.“

Viele der Täter machen später noch Karriere
Die Täter von damals, die Psychiater und Ärzte, entziehen sich nach 1945 ihrer Verantwortung. Wie auch ihr Verband, die Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). Jahrzehntelang schweigt die Gesellschaft zu ihrer Rolle im NS-Staat Staat. Verschweigt Morde und Zwangssterilisationen ihrer Vorgängerorganisation, dem Deutschen Verein für Psychiatrie. Viele der Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen machen nach 1945 Karrieren, auch ehemalige T4 Gutachter, einige von ihnen werden sogar Präsidenten der DGPPN.

Die Aufarbeitung der Rolle der Psychiatrie im Nationalsozialismus zeigt klar: Psychiater waren aktiv beteiligt an den Grausamkeiten im Nationalsozialismus. Die Forschungen der Historiker sollten nach dem Wunsch des ehemaligen Präsidenten der Gesellschaft Frank Schneider fortgesetzt werden. Untersucht werden sollte unter anderem, welche Ärzte bei der sogenannten Euthanasie nicht mitgemacht haben und welche Karrieren diejenigen einschlugen, die sie vorantrieben und das Morden umsetzen. Zuvor sollte die Forschergruppe ihre Ergebnisse präsentieren. Im Dezember vergangenen Jahres legten sie ihre Studien vor. Der Weg schien frei für ein Folgeprojekt.

Probleme, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen
Doch die Gesellschaft zögert nun. Der neue Präsident der DGPPN, Wolfgang Meier erklärte auf Anfrage, die bisherigen Ergebnisse müssten erst noch zusammengetragen und ausgewertet werden. Erst dann könne ein Konzept für einen Folgeauftrag erarbeitet werden. „Wir gehen davon aus, dass dieses Konzept im Laufe des Jahres erarbeitet werden kann. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf den Geschichtsverlauf in der BRD und der DDR gelegt werden“, schreibt Meier in einer E-Mail.

Den Medizinhistoriker und Vorsitzenden der „Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der DGPPN“, Volker Roelcke, überrascht diese Antwort des neuen Präsidenten. Zusammen mit Hans-Walter Schmuhl habe er schon längst dem Vorstand und dem Beirat der DGPPN ein Konzept für ein Folgeprojekt vorgelegt. Roelcke hat für sich eine erste Konsequenz gezogen: Er wird nicht mehr als Vorsitzender der Kommission fungieren.

Der Focus Bericht ist vollständig hier nachzulesen.

Leider begehen die beiden genannten Medizin-Historiker den schweren Fehler, das Morden im Nazi-Jargon „Euthanasie“ (Tötung auf Verlangen) zu bezeichnen, was Sie es bei dem vergleichbaren Wort „Endlösung“ sicher unterlassen hätten. So missachten sie die dringlichste Forderung, wie mit der Erinnerung an die Opfer des systematischen ärztlichen Massenmordens von 1939 bis 1949 und den Tätern umgegangen werden sollte:

Verbannung der Nazi-Jargons “Euthanasie” aus dem Sprachgebrauch, wenn systematischer ärztlicher Massenmord von 1939 bis 1949 gemeint ist. Die Opfer werden sonst noch einmal – jetzt – entwürdigt, ihres Willens beraubt, wenn ihnen mit dem Gebrauch des Wortes “Euthanasie” für ihre Ermordung unterstellt wird, sie hätten ihren Tod gewünscht. Der Gebrauch dieses Wortes für den systematischen ärztlichen Massenmord von 1939 bis 1949 ist die direkte Reproduktion von Ärzte-Nazi-Ideologie, Ausdruck von Solidarität mit den Tätern und der Versuch einer Vertuschung von deren Schuld.

Zu welchen Trugschlüssen der falsche Gebrauch des Wortes „Euthanasie“ führt, ist detailliert hier nachzulesen: http://www.irrenoffensive.de/antifa_merkbefreit.htm

Die Schwäche des geschichts–analytischen Ansatzes von Roelcke und  Schmuhl wird deutlich, wenn man das ganz neue Buch von Thomas Foth liest:

Caring and Killing. Nursing and Psychiatric Practice in Germany, 1931-1943.  (leider nur in Englisch). Mit seiner von Michel Foucault gelernten Methode, die Mikrophysik der Macht in der Geschichte aufzuspüren, kommt er zu tieferen Erkenntnissen, die die Forschungen von Roelcke und  Schmuhl im Vergleich trotz des ihnen in Fülle zur Verfügung stehenden Archivmaterial  eher oberflächlich erscheinen lassen.

Ein Interview (in Deutsch) vom 19. März wurde mit dem Autor bei Radio Dreyeckland im „KooKoo“ gemacht.