Gutachten: Pharma-Absatz-Förder-Gesetz unvereinbar mit dem Grundgesetz

Rechtsanwalt Thomas Saschenbrecker hat auf seiner Website ein umfangreiches Rechtsgutachten veröffentlicht, in dem die Unvereinbarkeit des Gesetzentwurfs zur Zwangsbehandlung (Drs. 17/11513, aka „Pharmaabsatzförderungsgesetz“) mit dem Grundgesetz nachgewiesen wird:
http://www.psychiatrierecht.de/stellungnahme_1906_bgb.htm

Wenn Abgeordnete des Bundestages trotzdem diesem Gesetzentwurf zustimmen sollten, sind sie Rechtsbrecher, weil sie sich wissentlich und willentlich am Grundgesetz vergehen, um das Verbrechen einer gewaltsamen Körperverletzung begehen zu lassen.

Wissentlich und willentlich, weil wir am 23.11.2012 alle Abgeordnete des Bundestages mit dem folgenden Schreiben informiert und ihnen in der Anlage eine gedruckte Ausgabe des Gutachtens von RA Saschenbrecker haben zukommen lassen.

Sie sind also alle informiert: wir wissen das und alle wissen auch, dass wir um ihr Wissen wissen.

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Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.

 

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Freitag, 23. November 2012

Wollen sie uns zeigen, dass wir Untermenschen sind?

Enthemmung im politischen Zentrum der Gesellschaft

 

Betrifft: Drucksache 17/11513 Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Rechtsentwicklung ist an einem Punkt der Entscheidung angekommen:
Menschen als Geisteskranke diagnostiziert waren zu Untermenschen gemacht worden. Sie wurden in Deutschland zu den ersten Opfern systematischen Massenmordes in der Gaskammer. Deren Entwürdigung und Entrechtung hatte lange vor der Nazi-Zeit begonnen und dauerte lange weiter an. Jetzt könnte deren Selbstbestimmung endlich durch eine gewaltfreie Psychiatrie in Deutschland gewährleistet werden – so wie die Selbstbestimmung für alle anderen Bürger auch gilt. Entsprechend hat es bis heute vor allem durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) eine Rechtsentwicklung gegeben. In Stichpunkten sei erwähnt:

  • Darf nicht zum Objekt staatlichen Handelns werden
  • Keine Vernunfthoheit der Ärzte
  • Betreuungsrecht 1992: erstmals gilt die Unterschrift eines Entmündigten zur Bevollmächtigung eines Anwalt eigener Wahl
  • 1998 Recht auf Krankheit
  • 2003 endgültig keine ambulante Zwangsbehandlung
  • 2006 BGH Rezepturteil XII ZB 236/05 (Richter müssen „genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffes und deren (Höchst-) Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit“ festlegen)
  • 2009 UN-Behindertenrechtskonvention
  • 2009 das Patientenverfügungsgesetz legt Wille vor Wohl fest bzw., dass das Wohl durch den zum Ausdruck gebrachten Willen bestimmt wird.

Das Patientenverfügungsgesetz geht gerade in der Einwilligung in gesundheitlichen Fragen entscheidend viel weiter als das, was bisher nur als zu berücksichtigender Wunsch im § 1901 Abs. 3 BGB erwähnt wurde. Es übernimmt faktisch die Regelungen der Körperverletzung bei einer Sterilisation, die ebenfalls nie gegen den natürlichen Willen vorgenommen werden darf. Durch die Regelung im § 1901a Abs. 1 BGB, dass jede Patientenverfügung ohne irgendeine weitere Qualifikation des Willen, also einfach mit natürlichem Willen, widerrufen werden kann, hat der Gesetzgeber markiert, dass selbst eine vorab positiv als erwünscht voraus verfügte Zwangsbehandlung widerrufen werden kann, also der aktuell erklärte Wille maßgeblich ist, um die Körperverletzung einer medizinischen Behandlung zu legitimieren oder illegal zu machen.
Entsprechend diesem Rechtsfortschritt hat das BVerfG 2011entschieden und der Bundesgerichtshof (BGH) im Sommer diese Entscheidung nachvollzogen.

Trotz dieser Entscheidungen des Gesetzgebers und des BVerfG wird derzeit mit mehreren Lügen versucht einen Roll-back zu inszenieren:

  • Lüge 1: Es gäbe eine Rechtsunsicherheit – das Gegenteil ist richtig. Nach langer Diskussion (siehe z.B. FamRZ 2006 Seite 1079) gibt es endlich Rechtssicherheit – mag diese Rechtssicherheit auch Ärzten, Richtern und dem Entmündigungsfilz nicht schmecken, da sie deren Macht beschränkt.
  • Lüge 2: Es gäbe eine Gesetzeslücke – das Gegenteil ist richtig. Endlich ist durch die Entscheidungen von BVerfG und BGH ein zusammenhängender gesetzlicher Schutz der Grundrechte der Betroffenen ohne Diskriminierung von angeblich oder tatsächlich psychisch Kranken entstanden – wie ihn die Behindertenrechtskonvention und auch Art. 3 GG – Verbot der Diskriminierung Behinderter – vorsehen.
  • Lüge 3: Es gäbe besondere Probleme seitdem nicht mehr zwangsbehandelt werden könne – das Gegenteil ist richtig: Der Betreuungsgerichtstag hat letzte Woche in einer Abschlusserklärung verlautbart:
    “… Das letzte halbe Jahr zeigt keine bedrohliche Entwicklung für Patienten in der Psychiatrie. Vielmehr hat sich gezeigt, dass andere therapeutische Wege zur Verfügung stehen und erfolgreich beschritten werden können …”
    Und der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Klinikums Heidenheim, Dr. Martin Zinkler schreibt:
    “… In Heidenheim, einer Klinik, die für immerhin 135.000 Einwohner im Landkreis die Versorgungsverpflichtung übernimmt, also für freiwillige und zwangsweise in die Klinik gebrachte Patienten, mit 1200 Aufnahmen im Jahr hat sich durch die fehlende gesetzliche Grundlage zur Zwangsbehandlung keine nachteilige Situation ergeben – im Gegenteil: wir sagen unseren zwangsweise eingewiesenen Patienten, dass sie nicht gegen ihren Willen medikamentös behandelt werden, und das nimmt der Unterbringung schon einen Teil der Bedrohung …”

Diese 3 genannten Propaganda-Lügen ergänzen die 3 folgenden falschen Behauptungen:

  1. Zwangsbehandlung wäre im Interesse der Betroffenen. Das Gegenteil ist richtig!
    Zwangsbehandlung ist eine schwere Misshandlung, um den Willen der Betroffenen zu brechen. Zwangsbehandlung wird von den Verbänden der Betroffenen mit aller Entschiedenheit in öffentlichen Erklärungen und Demonstrationen seit vielen Jahren bekämpft. Die letzte Demonstration war vorige Woche anlässlich der Justizministerkonferenz, bei der Frau Leutheusser-Schnarrenberger mit schrillen Pfiffen empfangen und als „Tarnkappenbomber“ bezeichnet wurde. Die Unterstellung, die Betroffenen wollten Zwangsbehandlung, sie wäre also in deren Interesse, ist zynisch. Wenn ein Erwachsener Zwangsbehandlung akzeptieren will, also jemand eine solche Zwangsbehandlung für sich selbst u. U. für wünschenswert halten sollte, dann wurde gerade durch das Patientenverfügungsgesetz dafür die rechtsverbindliche Möglichkeit geschaffen, diese durch eine entsprechende, Zwangsmaßnahmen legitimierende und legalisierende, Patientenverfügung gesetzeskonform zu ermöglichen – es gibt eben gerade weder eine Rechtsunsicherheit noch eine Gesetzeslücke.
  2. Der Gesetzentwurf Drucksache 17/11513, sei mit dem GG und den bestehend Gesetzen vereinbar. Das Gegenteil ist richtig! Wie es die beiliegende gutachterliche Stellungnahme von RA Thomas Saschenbrecker nachweist.
    a) Er ist unvereinbar mit dem Selbstbestimmungsrecht des Artikels 2 GG. Das BVerfG hat zwar als einzigen möglichen Rechtfertigungsgrund die Herstellung von Einwilligungsfähigkeit benannt, aber offen gelassen, wie diese gesetzlich klar und bestimmt ermittelbar sein soll. Zu Recht hat der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt in einer Stellungnahme darauf hingewiesen:
    „Bei der vermeintlich so einfachen Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit des Patienten treten in der täglichen Praxis tausende Grenzfälle auf. Es ist inkonsequent und inakzeptabel, Ärztinnen und Ärzten einerseits die alleinige Verantwortung für die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit der Patientinnen und Patienten aufzubürden, sie dann aber bei den tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Entscheidung auf unbestimmte Rechtsbegriffe zu verweisen“.
    Außerdem hat das BVerfG in seinem Beschluss darauf verwiesen, dass es weder Standards für Zwangsbehandlungen gibt, noch überhaupt von dem notwendigen DEUTLICHEN – dieses Wort hat es extra hervorgehoben – Überwiegen eines Nutzens ausgegangen werden kann. Im Übrigen hat auch die Bundesregierung selbst in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage der Linkspartei im September 2012 offenbart, dass die Prävalenz von Zwangsmaßnahmen um den Faktor hundert in den Bundesländern divergiert. Jeder der entsprechenden Rechtsbegriffe in dem Gesetzentwurf spottet also den vom BVerfG vorgegebenen Anforderungen in puncto Bestimmtheit und Klarheit einer Norm.
    b) Der Gesetzentwurf Drucksache 17/11513 ist unvereinbar mit dem Diskriminierungsverbot des Artikels 3 GG. Denn durch das Patientenverfügungsgesetz ist für alle Einwilligungsunfähigen alles geregelt: explizit gilt es für alle Krankheiten in allen Stadien und für alle mit einer schriftlichen und explizit in Absatz 2 für alle ohne eine schriftliche Patientenverfügung. Diese Reichweitenlosigkeit war der politisch umstrittenste Punkt und er wurde mit einer klaren Mehrheit zugunsten der reichweitenlosen Selbstbestimmung 2009 entschieden. Jeder Versuch nun doch eine Gruppe von Einwilligungsunfähigen – die „psychisch Kranken“ – von dieser Reichweitenlosigkeit auszunehmen und mit einer Sondergesetzgebung zu überziehen, ist also rechtliche Diskriminierung. Sie ist unvereinbar mit Artikel 3 GG und unvereinbar mit dem Patientenverfügungsgesetz. Das Patientenverfügungsgesetz müsste vorab so geändert werden, das es eine Ausnahmegruppe von der Reichweitenlosigkeit geben möge, die „psychisch Kranken“, für die dieses Gesetz nicht mehr gelten solle. Und selbstverständlich ist eine solche rechtliche Diskriminierung unvereinbar, ja konträr, zur UN-Behindertenrechtskonvention. Bitte erkundigen Sie sich dazu bei der Monitoringstelle der UN-Behindertenrechtskonvention.
  3. Es gehe darum, Zwangsbehandlung als „ultima ratio“ gesetzlich zu regeln.
    Das Gegenteil ist richtig!
    Wenn es tatsächlich um „ultima ratio“-Entscheidungen ginge, dann müssten sich diejenigen, die als Täter handeln mit allgemein gültigen Gesetzen, z.B. der Nothilfe, als rechtfertigender Begründung verteidigen, wenn diejenigen, denen angeblich geholfen wurde, diese Hilfe gar nicht als hilfreich empfunden haben, sondern klagen sollten. Wenn aber „ultima ratio“ als Gesetz mit der Allgemeingültigkeit eines Gesetzes geregelt werden sollte, ist das begrifflich ein Paradox. Vielmehr können die Worte „ultima ratio“ für eine solche Regelung nur als die täuschende Verkleidung eines Standard-Falls verstanden werden – es wäre also ein illegitimes, verlogenes Gesetz.

Bitte stimmen Sie gegen den Versuch, handstreichartig die zweitschwerste Menschenrechtsverletzung nach der Todesstrafe zu legalisieren, die mit staatlicher Gewalt erzwungene Körperverletzung! Bitte stimmen Sie gegen die Drucksache 17/11513!

Mit freundlichen Grüßen
gez. der Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener

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