Demonstration vor dem Sozialministerium Baden-Württemberg am 20.3.2012
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Sektion Baden-Württemberg
Aufruf zur Demonstration am Dienstag, 20.3.2012 um 10 Uhr vor dem Eingang zum
Sozialministerium von Baden-Württemberg, Schellingstr. 15 in Stuttgart.
Sozialministerium von Baden-Württemberg, Schellingstr. 15 in Stuttgart.
Während der Demonstrationszeit versammeln sich im Sozialministerium die bezahlten PsychiaterInnen und ihre Helferlein, die in einem neuen PsychKG der Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung wider die Behindertenrechtskonvention und Bundesverfassungsgericht ein legales Mäntelchen umhängen wollen.
Die Demonstration hat das Thema:
Jetzt die gewaltfreie Psychiatrie schaffen und dem Terror nach innen ein Ende bereiten,…
… weil
die deutsche Psychiatrie 9 Jahre lang den systematischen Massenmord begangen hat und sich danach 62 Jahre in der BRD das schwere Verbrechen der gefährlichen Körperverletzung zu Schulden hat kommen lassen, ohne dass es dafür je eine Rechtsgrundlage gegeben hätte, die verfassungskonform gewesen wäre. Das hat das Bundesverfassungsgericht nun endlich auch festgestellt. Die Körperverletzungen waren so abscheuliche Foltermethoden, wie gewaltsame Hirnzerstückelung (Lobotomie), gewaltsames Elektroschocken, gewaltsames Spritzen von bewusstseinsverändernden Drogen und Insulinschocks, gewaltsame Sterilisationen usw. Regelmäßig wird bis heute eine dramatische Lebensverkürzung als „Nebenwirkung“ akzeptiert. Vielleicht ist das sogar die nur zaghaft verdeckte Hauptwirkung?
Die baden-württembergische Sozialministerin Altpeter sagte bei einer Gedenkveranstaltung in Grafeneck am 27.1.2012, dass „die Gesellschaft es den Opfern schuldig sei, danach zu fragen, wie es möglich war, dass wehrlose Menschen zu tausenden brutal ermordet wurden.“ Nun kann die Ministerin durch ihr Handeln beweisen, ob sie es ernst meint mit ihrer Frage nach den Gründen für den Massenmord, oder ob ihre Frage nur eine zynisch dahingesagte Heuchelei ist, um mit dieser Form des „Erinnerns“ das Vergessen zu gewährleisten. Denn ihr ist bekannt, wie sich die Gewalttätigkeit der Psychiatrie nach 1949 fortsetzte und wie die selben Gewalttätigkeiten, als sie vor 1939 ausgeübt wurden, die notwendige Voraussetzung dafür bildeten, dass diese Gewalttätigkeit sich bei unbegrenzter Ärztemacht durch die Unterstützung der Nazis zum systematischen Massenmord steigern konnte.
Ministerin Altpeter hat jetzt, nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Chance, entweder die Psychiatrie auf Gewaltfreiheit umzusteuern. Oder sie kann versuchen, durch ein paar Bedingungen mehr in einem neuen Gesetz, der gewaltsam zu erduldenden Körperverletzung als psychiatrische Gewalt noch einmal den Anstrich von Rechtmäßigkeit zu geben. Der bisher vom Sozialministerium vorgelegt Entwurf eines neuen § 8 UBG deutet darauf hin, dass der Gewalttätigkeit und dem psychiatrischen Terror nach innen auf Teufel komm raus der Weg gebahnt werden soll. Wird Ministerin Altpeter von diesem Weg der zynischen Verhöhnung der heutigen sozialen Brüder und Schwestern der Ermordeten endlich abweichen?
… weil
die grün-rote Koalition in ihrem Koalitionsvertrag am 9. Mai 2011 (also 3,5 Wochen nach der Veröffentlichung des BVerfG Beschlusses am 15.4.2011) auf Seite 49 erklärt hat: „Durch das Gesetz für psychisch Kranke wird die Rechtsstellung psychisch kranker Personen gestärkt…“ Wenn dann aber tatsächlich das Gegenteil davon gemacht wird, nämlich eine gewaltsam zu erduldende Körperverletzung, die bisher noch nie rechtmäßig war, legalisiert werden soll, dann ist das eine arglistige Täuschung, und insbesondere dann ein politisches Verbrechen, wenn der Koalitionsvertrages so betitelt wird: „Der Wechsel beginnt.“ Ein beginnender Wechsel wären weitere Schritt zu einer völlig gewaltfreie Psychiatrie, in der auch das zwangsweise Einsperren endgültig der Vergangenheit angehört. So aber würde sich stattdessen diese Koalition zum Rammbock finsterer Reaktion machen, wie man sie am ehesten rechtslastigen Ordnungsfanatikern zugetraut hätte.
… weil
die grün-rote Koalition in ihrem Koalitionsvertrag auf Seite 50 erklärt hat: „Die von der UN-Behindertenrechts-konvention geforderte Inklusion, also die volle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen, ist ein vorrangiges Ziel der neuen Landesregierung.“ Jetzt aber stellt sich als vorrangiges Ziel dieser Koalition heraus, dass sie die fundamentalste Inklusion, der grundrechtlichen Gleichstellung, jetzt wo diese durch die Entscheidungen des BVerfG im Bereich der Freiheit von Körperverletzung hergestellt ist, aufheben will. Denn sie hat mit dem Entwurf eines neuen § 8 UBG als einem Sonderentrechtungsgesetz für angeblich oder tatsächlich „psychisch Kranke“ wieder genau das Gegenteil des angekündigten „Der Wechsel beginnt“ getan: diese Koalition droht sich zum Vorreiter finsterer Reaktion zu machen.
Und sie stellt sich dabei sogar offensiv gegen das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, das im Januar 2009 in einem Bericht an die Generalversammlung der Vereinten Nationen „zur Verbesserung der Sensibilisierung und dem Verständnis der Behindertenrechtskonvention“* definitiv klar gestellt hat:
Alle Gesetze „müssen abgeschafft werden“, in denen „psychische Krankheit“ Vorwand für ein Sondergesetz bei Gefahr für sich selbst oder andere ist – also eine definitive Bestätigung unserer Forderung nach sofortiger Abschaffung aller PsychKGe von der menschenrechtlich höchsten Stelle.
Hier die wichtigsten Abschnitte des Berichts als Zitat:
5. Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person
48. Eine besondere Herausforderung im Rahmen der Förderung und des Schutzes des Rechts auf Freiheit und Sicherheit der Menschen mit Behinderungen ist die Gesetzgebung und die Praxis im Bezug auf die Gesundheitsversorgung und insbesondere zur Unterbringung ohne die informierte Zustimmung der betroffenen Person (oft auch als unfreiwillige oder erzwungene Unterbringung bezeichnet). Bevor die Konvention in Kraft getreten ist, war die Existenz einer geistigen oder psychischen Behinderung im Rahmen internationaler Menschenrechte ein rechtmäßiger Grund für die Entziehung der Freiheit und Einsperrung.42 Das Übereinkommen wendet sich radikal von diesem Ansatz dadurch ab, dass jeder Freiheitsentzug auf der Grundlage der Existenz einer Behinderung, einschließlich einer psychischen oder geistigen Behinderung, als diskriminierend verboten ist. In Artikel 14 Absatz 1 (b) des Übereinkommens heißt es unmissverständlich, dass „das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsberaubung rechtfertigt“. Während der Ausarbeitung des Übereinkommens wurden die Vorschläge verworfen, die das Verbot der Inhaftierung auf die Fälle von „allein“ Behinderung begrenzen wollten43. Dies hat zur Folge, dass rechtswidrige Einsperrung auch die Situationen umfasst, in denen der Entzug der Freiheit mit einer Kombination von einer psychischen oder geistigen Behinderung und anderen Elementen wie Gefährlichkeit oder der Betreuung und Behandlung begründet wird. Da diese Maßnahmen teilweise durch die Behinderung einer Person gerechtfertigt werden, sind sie diskriminierend und verletzen das Verbot eine Freiheitsentziehung aufgrund von Behinderung und das Recht auf Freiheit auf gleicher Grundlage mit anderen nach Artikel 14.
49. Gesetzgebung, die zur Unterbringung von Menschen mit Behinderungen aufgrund ihrer Behinderung ohne ihre freie und informierte Zustimmung ermächtigt, muss abgeschafft werden. Das muss sowohl die Abschaffung der Gesetzgebung umfassen, die die Unterbringung von Personen mit Behinderung ohne deren freie und informierte Zustimmung legalisiert, als auch die Abschaffung von Gesetzen, die die Schutzhaft von Menschen mit Behinderung in Fällen wie der Wahrscheinlichkeit, eine Gefahr für sich selbst oder für andere zu sein und in allen Fällen, in denen die Fürsorge, die Behandlung oder die öffentliche Sicherheit mit einer vermuteten oder diagnostizierten psychischen Krankheit verbunden wird, legalisieren….
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42 Siehe als Verweis die „Grundsätze für den Schutz von Personen mit psychischen Erkrankungen und der Verbesserung der psychischen Gesundheit“, A/RES/46/119.
43 Im Laufe der dritten Sitzung des Ad-hoc-Ausschuss über eine umfassende und integrative Internationale Behindertenrechtskon-vention zum Schutz und der Förderung der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen wurden Vorschläge gemacht, das Wort „alleine“ in den Entwurf des damals als Artikel 10 Absatz 1 (b) bezeichenten Artikels einzufügen, der dann gelautet hätte: „Jede Freiheitsberaubung darf nur im Einklang mit dem Gesetz erfolgen und sie darf in keinem Fall alleine auf Behinderung beruhen.
… weil
jeder solche Versuch einer neuerlichen rechtlichen Diskriminierung gegen das Patientenverfügungsgesetz verstößt. Im § 1901 a BGB wird für alle Einwilligungsunfähigen ausdrücklich, unmissverständlich und umfassend für alle Krankheiten in allen Stadien bundesgesetzlich geregelt, dass der Wille des Betroffenen vor dessen vermeintlich objektiven Wohl geht, oder anders ausgedrückt, dass das Wohl durch den Willen des Betroffenen bestimmt wird. Sei es – vorzugsweise – durch eine schriftliche Patientenverfügung oder falls diese nicht vorhanden sein sollte, dass anhand von konkreten Anhaltspunkten, also beweisbaren Tatsachen, festgestellt wird, was der Betroffenen früher gewünscht hat und was somit als sein mutmaßlicher Wille zu gelten hat. Es besteht also eine definitive Beweispflicht dafür, dass ein einwilligungsunfähiger Betroffener sich früher Zwangsmaßnahmen gewünscht hat. Da es sich bei einer psychiatrischen Zwangsbehandlung um ein besonders gefährliches Verfahren handelt für das auch nach der Erkenntnis des BVerfG im Beschluss vom 12.10.2011 keinerlei Standards bestehen, kann die aktuelle Ablehnung einer psychiatrischen Behandlung beweiskräftig nur durch eine schriftliche positive psychiatrische Vorausverfügung rechtlich abgesichert werden, in der der Anwendung von Zwang und Gewalt durch den Betroffene – analog einer Organspendeerklärung – explizit zugestimmt wurde. Alles andere wäre Kaffeesatzleserei und Projektion von denen, die – aus welchen Gründen auch immer – zwangsbehandeln wollen. Der Bundestag hat explizit in Hinsicht auf keine Begrenzung der Reichweite das Patientenverfügungsgesetz mit breiter Mehrheit beschlossen. Der Gesetzentwurf des Sozialministeriums zu § 8 UBG, der diese Vorgaben missachtet bzw. unterläuft, nimmt logisch zwingend einen Verstoß gegen das reichweitenbegrenzungslose Patientenverfügungsgesetz in Kauf, nur um eine Gruppe von Menschen, die angeblich oder tatsächlich „Psychisch Kranken“, zu diskriminieren.
Mit diesen vier „weil“ ist gut begründet, warum es keinen neuen § 8 UBG geben darf. Ebenso wenig darf es ein neues PsychKG in Baden-Württemberg geben, in dem noch einmal der zwangsweisen Unterbringung angeblich oder tatsächlich „Psychisch Kranker“ ein rechtlicher Anstrich gegeben werden soll.