Überblick

Was ist der Stand der Zersetzung der Zwangs-Psychiatrie, deren sich beschleunigende Implosion?

Der Zeithorizont bis zu deren Verschwinden wird kürzer und kürzer. War der bei Gründung der Irren-Offensive 1980 noch in unendlicher Ferne im Dunkeln, war das allererste Büchsenlicht einer Dämmerung schon Anfang 1992 zu ahnen, als die Entmündigung  in „Betreuung“ umbenannt wurde, um sie zwar weiter zu praktizieren, aber sie wurde schon heuchlerisch und euphemistisch mit einer angeblichen „Treue“ zu den Betroffenen verbrämt. Der nächste Schritt war ein halbes Jahr nach dem Foucault Tribunal 1999 die gesetzliche Einführung der Vorsorgevollmacht als rechtliches Instrument, um zu bestimmen, wer vorrangig zu einem gerichtlich bestellten Betreuer auch in den höchst-persönlichen Entscheidungen über Gesundheitsfragen für einen sprechen kann. Noch ungeklärt war bis 2009 die sog. „Reichweite“, also was alles verfügt werden kann. Am 1.9.2009 trat das Patientenverfügungsgesetz in Kraft, mit der von den Betroffenen und stellvertretend deren Vorsorgebevollmächtigten über alle Krankheiten in allen Stadien Verfügungen getroffen werden konnten und selbstverständlich auch alle Untersuchungen und damit Diagnosen verboten werden konnten. Das traf ins Herz der Zwangspsychiatrie, dann seitdem gilt: Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung!
2010 trat zusätzlich die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Kraft. Sie beschleunigte den Zersetzungsprozess der Zwangspsychiatrie. Übrig blieben die Probleme, wenn jemand eben (noch!) keine Patientenverfügung vom Typ PatVerfü unterzeichnet hat, und die Hartnäckigkeit der Strafjustiz, die unbedingt wegen angeblicher „Schuldunfähigkeit“ unbeschränkt in der Forensik wegsperren und dort folter-artig Zwangsbehandlung praktizieren will.
Das muss also noch endgültig zu unseren Gunsten ausdiskutiert werden, entweder in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht oder in Genf vom UN-Komitee für die Behindertenrechtskonvention. Oder auch in Straßburg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Die UN-BRK wurde zum Treibsatz, dass seit Oktober 2023 die UN (durch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte) und die Weltgesundheitsorganisation WHO gemeinsam die gewaltfreie Psychiatrie und damit die Abschaffung der Zwangspsychiatrie fordern, siehe: http://www.die-bpe.de/who&un.pdf. Damit ist auch die angebliche „Rechtfertigung“ der Zwangspsychiatrie implodiert, sie mache eine medizinisch notwendige Behandlung.

Zwangspsychiatrie mehr und mehr in der Defensive
Seit März 2022 fordert die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) öffentlich die Abschaffung des Maßregelvollzugs. Seit November verteilen wir tausende-fach die Ergebnisse des Essaywettbewerb, Maßregelvollzug verletzt die Würde. Nun beginnt sich am härtesten und damit auch sprödesten Teil der Zwangspsychiatrie die Zersetzung bemerkbar zu machen. Ergebnis ist, dass z.B. der Chefarzt des Berliner Maßregelvollzug seinen Posten räumt. Bei der diesjährige Spitzentagung der Forensik-Werbung macht deren Ordenssprecher, Prof. Kröber, nur ein nahezu schmerzverzerrt saures Gesicht, als er unseren Protest vor „seiner“ Charité Tagungstür passieren musste.
In Niedersachsen sind inzwischen nicht mehr genug psychiatrische Fachärzte zum sofortigen Wegsperren vorhanden. Unsere moralische Verurteilung von deren Tätigkeit für ein Kerkersystem mit Folterregime zu arbeiten, lässt so viele Ärztinnen und Ärzte zurückschrecken, dass die Politik in Niedersachsen zum Äußersten greift: Sie versucht „auf Teufel komm raus“ alle Approbierten zu Helfershelfern des Terrorsystem zu machen und missachtet dabei sogar, dass der Landtag gar keine Gesetzgebungskompetenz für diese Veränderung der Begutachtungs-Regeln hat. Ähnlich in Baden Württemberg: „auf Teufel komm raus“ wird am Versuch festgehalten, ambulante Zwangsbehandlung gegen die bestehenden Gesetze und Urteile des Verfassungsgericht gesetzlich normieren zu wollen. Alles nur Abgesang der Zwangspsychiatrie, auch wenn weder die Deutsche Ärzteschaft bisher bereit ist, den psychiatrischen Kollegen die Gewalt aus den Händen zu schlagen noch die Europäischen oder Deutschen Gesetzgeber bereit sind, die gewaltfreie Psychiatrie durch zu setzen, wie sie es konform mit den Menschenrechten und der WHO sein muss.

Fazit: Die Zwangspsychiatrie hat keine Legitimation mehr,
denn sie ist (wie schon immer) eine Verletzung der Menschenrechte, der Würde des Menschen, seiner Selbstbestimmung und hat jede medizinische Rechtfertigung für ihre Gewalt verloren – sie ist nackte Gewalt.
Die Revolution fand wie durch einen Bypass statt. Es ist der Zug der Zeit. Wer sich Hoffnungen auf eine Revolution als ein schlagartiges Ereignis machte, der wird zwar enttäuscht sein, aber auch die Sklaverei und Apartheid wurden nicht an einem Tag abgeschafft, sondern es bedurfte für den endgültigen Erfolg Zähigkeit und Geduld. Es gab irgendwann einen Kipppunkt und sie wurden endgültig Vergangenheit.

Das Traurige ist nur, dass das zuvor Gesagte zwar wahr ist, aber was wahr ist, ist noch lange nicht das, was Menschen als Wahrheit zu akzeptieren bereit sind. [Musterbeispiel ist dafür der Trumpismus.] So werden weiter Sündenböcke gesucht [„Hexenjagd“] und dafür bieten die psychiatrischen Lügen und die entsprechende Verleumdungssprache eine nahezu perfekte Grundlage. Zusätzlich wird das als angeblich „wissenschaftlich“ bestätigt und ekelerregend verdreht als nur zum „Wohle*“ der Betroffenen und in deren angeblichen Interesse. Noch trauriger ist, wenn Betroffene sich daraus dann in einer Opferrolle einen Vorteil erhoffen, statt sich gegen Zwang, Gewalt und die Repression  zu wehren. Obwohl man von der Gewalt der Mächtigen wie gelähmt ist, müssen aber die restlichen Spielräume genutzt werden – am besten politisch.

Dazu passend der nächste Blog Eintrag:
Warum das Körper-Geist-Problem unlösbar bleiben muss
Daraus ergibt sich logischerweise: Weder gibt es ein medizinisch-psychiatrisches Wissen, noch gab es je ein solches oder wird es jemals eines geben.

* Am 1.1.2023 wurde durch das Inkrafttreten einer Reform des Betreuungsrechts das „Wohl“ durch die subjektiven Wünsche der Betroffenen ersetzt. Ein wesentlicher Unterschied, der richterlichen und psychiatrischen Unterstellungen die Grundlage entzieht!