Kommentar

Kommentar zum Beschluss der DGSP:
Das Unglück mindern statt zu mehren
Wie durch Pädagogisierung und Therapeutisierung versucht wurde, dem moralischen Dilemma des Strafens zu entkommen, es
aber nur verschlimmert wurde.

Die DGSP hat den Beschluss gefasst, auch im Sinne der UN-BRK die Abschaffung der Forensik / der Maßregeln zu fordern. Mit der Darstellung der Hintergründe und Fakten zu dieser Forderung wurden Heinz Kammeier, Ulrich Lewe und Martin Feißt beauftragt. Dabei zielt die Forderung nach Abschaffung der mit Hilfe der §§ 20 und 21 StGB regelmäßig durch zwangsweise psychiatrische Gutachten ermittelten „Schuldunfähigkeit“ zur Verhängung der unbefristeten Strafe nach §§ 63 und 64 (forensische Psychiatrie) auf einen zentralen Punkt des Strafrechts: Die Abschaffung des 2. Zugs des Strafrechts.

Die Aufgabe der Rechtsprechung ist nicht nur, Streit zwischen Bürgern so zu schlichten, dass die Entscheidung des Gerichts akzeptierbar wird und „Rechtsfrieden“ wieder einkehrt, sondern gesellschaftlich wird den Richtern auch die Aufgabe übertragen zu strafen. Allerdings tritt unserer Ansicht nach bei jeder Bestrafung des moralische Dilemma offen zu Tage, dass ein moralischer Grundsatz fundamental verletzt wird:
Mit keinem Übel kann ein anderes Übel gerechtfertigt werden.
Übel addieren sich nur auf, denn es gibt keine Subtraktion von Üblem durch ein anderes Übles. Strafen vermehrt also das Übel, statt es zu mindern.

Zunächst muss bei einer Straftat für alle Beteiligten und die Öffentlichkeit der Tathergang und das dadurch verursachte Leid und Elend ermittelt und durchsichtig, objektiv werden. Die dann aufgrund der Beweise verhängten Strafen sollen beim Delinquenten zumindest Unwohl sein hervorrufen, ihn quälen und durch die Diskriminierung des Bestraft-werdens auch entwürdigen. Ohne Zweifel sind Strafen zumindest für den betroffenen Täter ein Übel. Wie kann gerechtfertigt werden, dieses Übel dem Übel der tatsächlich oder vermeintlich begangenen Tat hinzuzufügen?
Eigentlich gar nicht.

Denn dem Bösen der zur Last gelegten Tat wird, wie gesagt, ein weiteres Böses hinzugefügt. Dieses neue, weitere Übel der Bestrafung kann doch keine Schuld mindern, die Schmerzen und Verletzungen beseitigen, die durch die Tat entstanden sind. Allein das Bedürfnis, nicht mehr dem Täter begegnen zu müssen, berechtigt die Gesellschaft – in Solidarität mit dem Opfer – eine Trennung zu Lasten des Täters zu gewährleisten, so dass das Opfer dem Täter auf angemessene Zeit nicht mehr begegnen kann. Aber die Hoffnung damit präventiv weitere Straftaten zu verhindern, oder zumindest Rache zu üben, sind alle moralisch fragwürdig oder können regelmäßig nicht gewährleisten, was man sich davon erhofft. Im Gegenteil regelmäßig werden Spiralen der Wiederholung, ja Eskalation in Gang gesetzt. Wie also versucht der Richter diesem Dilemma zu entkommen? Indem der Beschuldigte vor dem Urteil insbesondere bei der Ermittlung des Tathergangs selbst die Tat und wie er dabei schuldig geworden ist, gesteht und damit die Bewertung seiner Tat und seine Verurteilung übernimmt.

Der Richter wird also entlastet, da der Täter einsichtig ist und verinnerlichte Reue zeigt, sich damit also zumindest schon mal in seinen Gedanken, selbst bestraft, z.B. in dem er zerknirscht sein Gewissen belastet, bzw. als belastet darstellt. Die Strafe muss also nicht mehr aufgezwungen werden, sondern wird akzeptiert. In diesem Sinne ist die Abschaffung der Todesstrafe zunächst eine Entlastung der Richter, die keine Verantwortung mehr für die Ermordung eines Menschen übernehmen müssen, wenn dieser drastischsten Strafe von der Gesellschaft per Gesetz zugestimmt wurde.

Da grundsätzlich kein Übel mit einem anderen Übel gerechtfertigt werden kann, begeht jede Richterin, die das Übel des Freiheitsentzug bzw. sogar der psychiatrischen Zwangsbehandlung (Folter!) in der Forensik verhängt, selbst auch Übles, mag sie sich dabei auch durch ein Gesetz entlastet fühlen. Das ist für eine moralische Beurteilung nicht hinreichend.
Seit jeher versucht die Rechtsprechung diesem Dilemma zu entkommen. Deshalb hat das Geständnis so eine tragende Rolle, denn dann hat der Delinquent wenigstens das Böse seines Tuns (an)erkannt. Seit der Aufklärung hat das zu den immer verfeinerten Methoden des Geständniszwangs geführt, die Michel Foucault so fein aufgespießt hat. [Michel Foucault, der inzwischen meistzitierte Autor des 20. Jahrhunderts] Deshalb sollte die Folter ein Geständnis durch Quälen erpressen, obwohl jede/r weiß, dass so gar keine Wahrheit ermittelt werden kann, um die es eben auch gar nicht geht. Im Wissen um die besondere Grausamkeit des Folterns und der Fadenscheinigkeit der Begründung, „na ja, wenn´s der Wahrheitsfindung dient“, wurde Foltern aufgegeben, aber ohne davon wirklich lassen zu wollen. So werden verschiedene Versuche unternommen z.B. durch Angebote von Tauschgeschäften Geständnisse zu bekommen und/oder wenigstens Zeugen dafür zu gewinnen, Komplizen belasten zu können.

Es bleibt am Ende wahr: Je mehr Druck für ein Geständnis ausgeübt wird, umso fragwürdiger wird es, weil nur das ausgesagt wird, was gehört werden will bzw. soll. Dieser prinzipielle Nachteil soll durch zwei fadenscheinige Angebote der „Hilfe“ überwunden werden:

  • Durch das Angebot einer „Entschuldung“ dadurch, dass kausales Geschehen einer naturgegebenen „Geisteskrankheit“ die Ursache einer angeblichen „Krankheit“ sei (im Extrem wurde sie sogar als „erbbiologisch“ veranlagt phantasiert und die Diagnose zum Todesurteil), der durch medizinisch-therapeutisch Behandlung abgeholfen werde.
  • durch Verkindlichung und paternalistischem „Umsorgen“ sprich Pädagogisierung

Diese Versuche, Geständnisse (die sog. „Krankheitseinsicht“) durch die Hintertür zu bekommen  sind die Triebfeder für den psychiatrischen Mummenschanz und die entsprechenden Theateraufführungen durch die Psychiatrie als Teil des staatlichen Strafregiems seit ca. 150 Jahren. So ideologisch vorbereitet wurde dann in Nazi-Deutschland am 24. November 1933 das Sonderstrafrecht der Forensik als Teil einer „als ob“ Version von Recht geschaffen. Damit wurde aus Willkür eine Diagnose von krankhafter Schuldunfähigkeit bei gleichzeitiger Gefährlichkeit im Strafrecht verankert. Die Simulation einer medizinischen Untersuchung wurde im Recht zu einem Kriterium gemacht, obwohl diese Simulation sich auf keinerlei Messeergebnisse stützen konnte, die als Grundlage naturwissenschaftlicher Methoden moderner Medizin notwendig wäre.

Mindestens die Abschaffung dieses Sonderstrafregimes ist überfällig geworden. Die ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention ist Gesetz geworden und die Uhr mit der der Gesetzgeber und die Rechtsprechung durch Verleugnung dieser Menschenrechtskonvention Zeit gewinnen wollte, ist abgelaufen. Die Forderung der DGSP nach Abschaffung §§ 20, 21, 64 und 63 StGB (63 insbesondere) ist auf dem Tisch und diese §§ müssen kurzfristig aus dem Gesetz gestrichen werden.

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener und Werner-Fuß-Zentrum
Text ursprünglich von Rene Talbot
Siehe auch hier das Manifest zur Abschaffung von Strafanstalten und anderen Gefängnissen mit 102 Unterschriften Rechtschaffender Bürger.