Interview Dr. Martin Zinkler, Chefarzt in der Bremer Psychiatrie
vielen Dank, dass Sie für unseren Rundbrief und Blog zu einem Interview bereit sind.
Sie haben Anfang des Monats in Bremen als Chefarzt in der Psychiatrie des Krankenhauses Bremen Ost angefangen.
Wir vermuten, dass die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Claudia Bernhard, von der Linkspartei bereit ist, das Wahlversprechen ihrer Bundespartei von 2013 und 2017 hinsichtlich der Behindertenrechtskonvention (BRK) umzusetzen und es auch so meint, wenn darin steht:
„Rechtliche Diskriminierung, insbesondere über psychiatrische Sondergesetze und ärztliche oder betreuungsrechtliche Zwangsbefugnisse, ist aufzuheben.“
Deshalb könnten jetzt die politischen Schritte vorbereitet werden, dass Bremen das erste Bundesland wird, in dem psychiatrischen Gewaltmaßnahmen ein Riegel vorgeschoben wird und sie der Vergangenheit angehören, so wie sie es in ihrem Text in Recht & Psychiatrie ausgearbeitet haben: https://tinyurl.com/martinzinkler
Dazu unsere Fragen:
Frage WFZ: Halten sie unverändert an dem Ziel einer gewaltfeien Psychiatrie fest?
Antwort Zinkler: Eindeutig ja, es gibt inzwischen viel Rückenwind für dieses Ziel, von den Betroffenenorganisationen, dem Europaparlament, dem Europarat, verschiedenen Gremien der Vereinten Nationen, dem Fachausschuss der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und der Weltgesundheitsorganisation.
F: Welche Chancen sehen sie, dass Bremen zum ersten Bundesland wird, in dem die Psychiatrie gewaltfrei wird?
A: Die Chancen für eine gewaltfreie Psychiatrie in Bremen, also eine Psychiatrie, die nicht mehr einsperrt, festbindet oder zwangsbehandelt, kann ich momentan noch nicht beurteilen. Ich rechne für diese Zielvorstellung mit viel Sympathie und ebenso großer Skepsis.
F: Wie sieht die Unterstützung von der Regierungsseite aus?
A: Von Regierungsseite bzw. der Bügerschaft gibt es viel Unterstützung für eine Reduzierung von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie, u.a. deshalb bin ich nach Bremen gekommen. Das wurde in den Gesprächen mit den Verantwortlichen immer wieder bekräftigt.
F: Gibt es da erste Gespräche und Absichtserklärungen, wird eventuell sogar schon an entsprechenden Gesetzesnovellen gearbeitet?
A: Gespräche oder Absichtserklärungen für eine konkrete Umsetzung sind bisher noch nicht erfolgt. Jedenfalls gibt es in Bremen ein Monitoring System für Gewalt in der Psychiatrie, das gemeinsam ausgewertet und diskutiert wird. Das Problem ist erkannt und Änderungen sind dringend gewünscht und erforderlich.
F: Wie sieht es mit der Unterstützung Ihrer Oberärzte, Pflegedienstleitung, der Gewerkschaft Verdi usw. aus?
A: Ich rechne in der Klinik mit viel Unterstützung und mit viel Skepsis. Die Klinik hat einige günstige und einige ungünstige Voraussetzungen für eine Entwicklung in diese Richtung. Günstig sind die Etablierung von Hometreatment und die enge Verzahnung der Klinik mit den ambulanten Diensten. Es besteht bei den gemeindepsychiatrischen Diensten eine hohe Bereitschaft, Hilfsangebote zu entwckeln, die stationäre Aufnahmen und gerichtliche Unterbringungen überflüssig machen. Genesungsbegleiter werden sukzessive in allen therapeutischen Teams eingesetzt. Ungünstige Bedingungen sind: große Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, geschlossene Stationen, die räumlichen Bedingungen in einigen Stationen im Klinikum mit wenig Raum, wenig Licht und unzureichenden sanitären Einrichtungen.
F: Gibt es schon Kontakte zur Justizsenatorin, wegen einer entsprechenden Reform und Unterstützung von den Betreuungsgerichten?
A: Es gab in dieser Richtung noch keine Gespräche mit der Justizsenatorin.
F: Sind der Innensenator und die ihm unterstellte Polizei in das Projekt der gewaltfreien Psychiatrie schon einbezogen?
A: Es gab in dieser Richtung noch keine Gespräche mit dem Innensenator oder der Polizei.
Als Zwischenschritt verfolgen wir mit der PatVerfü dieses Ziel auf einer individuellen Basis: Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung! Wir hatten Anfang 2018 in einer Umfrage an alle Chefärzte gefragt, ob sie die Rechtsauffassung teilen, dass alle die psychiatrische Untersuchung, Diagnose und Behandlung, dokumentiert in einer vorher niedergelegten Patientenverfügung z.B. vom Typ PatVerfü®, ablehnen, in unserer Klinik ab sofort das Recht haben, diese jederzeit zu verlassen bzw. gegebenenfalls, wenn gar keine Hilfe nachgefragt wird, gar nicht aufgenommen zu werden.
Nur Sie hatten als einziger Chefarzt damals verbindlich zugesagt, sich daran zu halten.
Frage WFZ: Werden Sie in der Bremer Psychiatrie durchsetzen, dass die PatVerfü genauso beachtet wird und gegebenenfalls, wenn gar keine Hilfe nachgefragt wird, jemand nicht aufgenommen wird? Mit dem Hausrecht können Sie die Aufnahme verweigern, selbst wenn ein Gericht z.B. auf Betreiben des Sozialpsychiatrischen Dienstes zugestimmt hat, dass eine Zwangseinweisung von dem Betroffene zu erdulden sei, weil Sie gegen eine PatVerfü weder diagnostizieren dürfen und also auch nicht können.
Antwort Zinkler: Ich werde mich dafür einsetzen, dass Patientenverfügungen, wie vom Gesetzgeber gewollt, uneingeschränkt Beachtung finden. Eine Klinik ist ein Ort der Untersuchung, Unterstützung, therapeutischen Begleitung und Behandlung. Wenn ein Person mit einer Patientenverfügung genau diese Angebote vollumfänglich ablehnt, so gibt es auch keine Rechtfertigung für einen Aufenthalt in der Klinik.
Fazit des WFZ: Damit sagt Martin Zinkler, dass er der Erste ist, der die Behindertenrechtskonvention in der Psychiatrie durchzusetzen bereit ist.
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Wie Autism-Europe meldet, hat das Bioethik-Komitee des Europäischen Rates auf seiner Sitzung vom 1. bis 2. Juni 2021 beschlossen, die Abstimmung über das Zusatzprotokoll zur Oviedo-Konvention von der Tagesordnung zu nehmen und auf November 2021 zu verschieben.