Heuchelei statt Selbstbestimmung
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Heuchelei statt Selbstbestimmung
Sehr geehrte Damen und Herren,
Zunächst vielen Dank, das Sie uns durch Ihre im August 2019 veröffentlichte Stellungnahme zur Reform des Betreuungsrechts auf das Zwischenergebnis des BMJV aufmerksam gemacht haben.
Da wir allerdings einige Stellen in Ihrer Stellungnahme gefunden haben, die wir für bedenklich halten, möchten wir Sie darauf mit diesem offenen Brief hinweisen und gemeinsame Handlungsstrategien vorschlagen.
Festzuhalten ist, dass ältere Menschen und insbesondere alle Menschen, die mit der Psychiatrie Erfahrungen machen mussten, von den Entmündigungen betroffen sind, die seit 1992 irreführenderweise „Betreuung“ genannt werden (Zur Erinnerung: so entmündigt sind sogar zwangsweise Amputationen und gewaltsames psychiatrisches Elektroschocken möglich, § 1906 a BGB). Wir unterstellen deswegen ein gemeinsames Interesse und hoffen auf ein gemeinsames Vorgehen bei den Fragen einer grundlegenden Reform zu einem Betreuungsrecht, das tatsächlich diesen Namen verdient.
Denn die in dem Wort „Betreuung“ zu vermutende Bedeutung, dass die BetreuerInnen treu zum Betreuten sei, könnte diese rechtliche Stellvertretung aber dann, und nur dann, annehmen, wenn sie grundsätzlich nie gegen den erklärten Willen des Betroffenen von einem Gericht angeordnet werden könnte. Deshalb ist das deutsche Betreuungsrecht mit der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) unvereinbar, wie der UN-BRK-Fachausschuss am 17.4.2015 in seinem Staatenbericht über Deutschland in aller Deutlichkeit feststellte:
25. Der Ausschuss ist besorgt über die Unvereinbarkeit des im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgelegten und geregelten Instruments der rechtlichen Betreuung mit dem Übereinkommen.
26. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat,
(a) in Anbetracht der Allgemeinen Bemerkung Nr. 1 (2014) des Ausschusses alle Formen der ersetzten Entscheidung abzuschaffen und ein System der unterstützten Entscheidung an ihre Stelle treten zu lassen;
(siehe auch Gutachten Prof. Rohrmann*)
Um das Versprechen der UN-BRK auf Selbstbestimmung zu erfüllen, bzw. der Empfehlung des UN-BRK-Komitees nach zu kommen, muss § 1896 Abs. 1a BGB novelliert werden: Der Satz: “Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden” muss durch diesen Gesetzestext ersetzt werden: Gegen den erklärten [oder natürlichen] Willen des Volljährigen darf eine Betreuung weder eingerichtet noch aufrechterhalten werden.
Das ist seit 2003 unsere Forderung. Diese Reform ist der notwendige erste Schritt, der aber von der Politik so vermieden wird, wie der Teufel das Weihwasser fürchtet. Stattdessen immer weitere blumige Beteuerungen, Novellen als Scheinreförmchen, die einer angeblichen Selbstbestimmung dienlich seien, aber gerade das Wesentliche missen lassen. Wie zum Beweis wird auf Seite 5 des Zwischenbericht des BMJV behauptet: dass … klargestellt werden muss, dass … eine klarere Regelung des grundsätzlichen Vorrangs des Willens, der Wünsche und der Präferenzen des Betreuten nach Maßgabe von Art. 12 UN-BRK notwendig ist.
Und genau die dafür notwendige von uns seit über 15 Jahren angemahnte Änderung der alles entscheidende Formulierung im § 1896 BGB wird dann eben weder in dem Zwischenbericht des BMJV noch in Ihrer Stellungnahme dazu erwähnt, sondern beim § 1896 BGB soll alles beim Alten bleiben. „Betreuung“ wird weiter unter dem täuschenden Vorwand eines angeblich nur „natürlichen Willens“ gegen den erklärten Willen aufoktroyiert und der Rest sind Versuche einer rhetorisch-blumigen Heuchelei über den entscheidenden Sachverhalt. Wenn also die Rede von der Selbstbestimmung nicht nur rhetorische Täuschung sein soll, sondern tatsächlich grundsätzlich der Wille, die Wünsche und die Präferenzen des Betreuten Vorrang haben soll, dann ist die dafür notwenige und unhintergehbare Bedingung, dass gegen den erklärten [oder natürlichen] Willen des Volljährigen eine Betreuung weder eingerichtet noch aufrechterhalten werden darf.
Dann, und nur dann, wird Entscheidungsfindung unterstützt, wenn sie nicht mehr ersetzt werden kann, also das letzte Wort beim Betroffenen bleibt – und zwar immer. Er/Sie muss alle, auch wohlgemeinten Vorschläge und Beratung, ablehnen können und dafür ist die Grundbedingung, dass eine Betreuung selbst weder gerichtlich erzwungen noch gegen den erklärten Willen aufrechterhalten werden kann.
Wir werden niemals eine Regelung unter dieser grundsätzlichen Änderung akzeptieren und werden weiter den Finger in die Wunde legen, wenn mit dieser geplanten Reform wieder die UN-BRK hintergangen werden sollte, wie es der Fall bei deren Ratifizierung 2009 war, siehe: Chronik eines Betrugs Wie die Behindertenrechtskonvention zu einem Mittel der Täuschung gemacht wurde: https://tinyurl.com/BRK-Betrug
Deshalb ist unsere aktuell wichtigste Forderung, dass der Weg zu dieser grundlegenden Reform unter keinen Umständen erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht werden darf.
Aber in dieser Hinsicht werden insbesondere von den Berufsbetreuern – allerdings mit Billigung oder sogar Unterstützung des BMJV – hinterhältige Reformen beworben, um zum täuschenden Schein angeblich „Selbstbestimmung“ zu fördern, aber durch eine Professionalisierung der Betreuung tatsächlich das alte obrigkeitsstaatliche Vorgehen zu restaurieren. Denn durch die beständige Forderung der Berufsbetreuer nach staatlich geregelter „Qualifizierung“ ihrer Tätigkeit, ist inzwischen eine schwerwiegende Gefahr für die durch eine Vorsorgevollmacht abgesicherte Selbstbestimmung entstanden. Denn nicht nur das Bundesjustizministerium (BMJV) hat sich vor den Karren der Berufsbetreuer spannen lassen, sondern beide GroKo-Parteien scheinen gewillt, diese Forderung zu erfüllen. Das ist einerseits 2017 durch die Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine der Berufsbetreuer bewiesen. Andererseits hat das BMJV das Forschungsvorhaben zur Qualität in der rechtlichen Betreuung veröffentlicht, die uns das Schlimmste befürchten lassen. Unsere Stellungnahme dazu: Die Behindertenrechtskonvention Vorwand für den Angriff auf die Selbstbestimmung: Der Forschungsbericht „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ ist hier veröffentlicht: www.die-bpe.de/BRK-Vorwand.htm. Das BMJV machte mit der Beauftragung und der Abnahme dieses Forschungsberichts eine völlige Kehrtwende zum Abschlussbericht der Interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Justizministerien der Länder und des Bundes zum Betreuungsrecht vom 20. Oktober 2011.
In diesem Bericht hieß es damals noch (fett von uns):
Seite 9: Die Arbeitsgruppe spricht sich gegen eine gesetzliche Festlegung von Eignungskriterien sowie gegen eine abstrakt-generelle Regelung zum Berufsbild für Berufsbetreuer aus.
Seite 33: Die Arbeitsgruppe spricht sich gegen eine gesetzliche Festlegung von Eignungskriterien sowie gegen eine abstrakt-generelle Regelung zum Berufsbild für Berufsbetreuer aus.
Seite 34: Die Arbeitsgruppe ist der Auffassung, dass sich die Eignung des Betreuers nicht anhand abstrakter, allgemeinverbindlicher Eignungskriterien oder – bei Berufsbetreuern – anhand eines bestimmten Berufsbilds festlegen lässt.
Seite 60: Ehrenamtliche Betreuer sind ohne formelle Qualifikationen grundsätzlich zur Führung von Betreuungen in der Lage. Eine Mindestqualifikation würde hingegen den Eindruck vermitteln, ein ehrenamtlich Betreuter erhalte eine Betreuung zweiter Klasse, und so den Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung aushöhlen.
Wir nehmen an, dass Sie, wie wir, ein elementares Interesse daran haben, das die durch eine Vorsorgevollmacht mögliche Selbstbestimmung unter keinen Umständen gefährdet bzw. geschmälert wird.
Wir möchten Sie bitten, im weiteren Meinungsbildungsprozess mit Ihren Mitteln entsprechend verhängnisvollen Plänen für Gesetzentwürfe zu widersprechen, um so zu verhindern, dass die Vorschläge für Betreuerqualifikationen wiederbelebt werden können. Solche Pläne müssen von vornherein außer Betracht liegen. Erfreulicherweise hat die Justizministerkonferenz mit ihrem Beschluss vom 6. und 7. Juni 2018 Seite 8 zumindest vorerst diesen Plänen einen Riegel vorgeschoben.
Erst dann, und nur dann, darf überhaupt an eine Betreuerqualifikation gedacht werden, wenn vorher der § 1896 BGB so wie oben erklärt geändert worden ist und damit jede Einrichtung oder Fortsetzung einer Betreuung gegen den erklärten (bzw. natürlichen) Willen der Betroffenen ausgeschlossen ist.
Wir möchten dafür werben und hoffen, dass Sie ebenfalls die Selbstbestimmung – die Freiheit nach eigenem Willen zu entscheiden und die darin geborgene Würde einer Person – so ernst nehmen, dass Sie diese notwendige Reihenfolge von gesetzlichen Änderungen verstehen und teilen.
Keine Restaurierung des Obrigkeitsstaates, dann lieber gar nichts am Betreuungsrecht ändern.
Denn wenn Selbstbestimmung gesagt wird, muss auch Selbstbestimmung gemeint sein!
Mit freundlichen Grüßen
René Talbot und Uwe Pankow
(Für den Vorstand von die-BPE)
Kopie an: Behindertenorganisationen, Deutsches Instituts für Menschenrechte, Berufs- sowie weiterere Fachverbände, ebenso wie Repräsentanten der Länder, der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, die betroffenen Ressorts der Bundesregierung und die behindertenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen, sowie die Seniorenvereinigungen in den Parteien
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* Bevormundung – Zwangsunterbringung – Folter von Prof. Eckhard Rohrmann
Zur Lage von Behinderten im Lichte der Abschließenden Bemerkungen des UN-Komitees für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum ersten Staatenbericht der Bundesrepublik zum Art. 12 der UN-Behindertenrechtskonvention
http://www.die-bpe.de/Stellungnahme_Rohrmann_zu_Art_12.htm