Menschenrechte setzen sich immer besser durch

Veröffentlicht in der Zeitschrift Cilip 3/2025:

Zum polizeilichen Umgang mit „schwierigen Personen“

von Rene Talbot

Das Patientenverfügungsgesetz von 2009, die im selben Jahr ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention sowie das seit 2020 beschlossene Recht auf Selbsttötung stellen individuelle Selbstbestimmung in den Mittelpunkt. Diesem Paradigmenwechsel muss sich polizeiliches Handeln anpassen.

Ich möchte einen positiven Ausblick geben, denn zu beklagen gibt es genug. Regelmäßig bestärkt das Klagen leider vor allem eine Opferrolle, durch die die eigene Ohnmacht eher verstärkt denn geschwächt wird. Es gilt aber, die Hoffnung zu stärken und nicht womöglich darauf zu setzen, dass diese Unterlegenheit so Mitleid erregend ist, dass damit Unterstützung bzw. Solidarität provoziert werden kann. Deshalb möchte ich einen Paradigmenwechsel betonen, der Zug um Zug eine grundsätzliche Änderung bewirken wird, so dass sich Polizistinnen anders bzw. neu orientieren müssen. Alle müssen alte Gewohnheiten, wie bisher mit „schwierigen Personen“ umgegangen wurde, überdenken bzw. ablegen, und sie müssen einüben, wie jenseits vom traditionell autoritären Corpsgeist mit ihnen umzugehen ist, auch wenn es dabei Widerstände und Abwehrgefechte geben wird.

„Schwierige Personen“

Mit „schwierigen Personen“ sind im Folgenden Menschen gemeint, die beim Zusammentreffen mit Polizeibeamtinnen als „psychisch krank“, „psychisch gestört“ oder „psychisch auffällig“ vorverurteilt bzw. verleumdet werden. Die Frage, ob diese Zusammentreffen zur „psychiatrischen Versorgung“ gehören, ist eine sehr umstrittene Frage; ich meine, es ist eine politische Frage, die im Kern auf einer diskriminierenden medizinischen Verleumdung und dem entsprechenden Jargon beruht, wie ihn früher auch Schwule erfahren haben.

Wenn Menschen Probleme haben, sollen sie nicht nur in ihrer Wohnung, bei der sog. „Therapie“ oder in einer Einrichtung entsprechend „versorgt“ werden, sondern die Gesellschaft muss sicherstellen, dass mit allen Bürgerinnen angemessen und menschenrechts- wie grundrechtskonform umgegangen wird. Auch wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen. Denn das Subjekt ist (zum Glück!) nicht hinterfragbar. Menschen können aus denselben Gründen das Verschiedenste, ja sogar Gegensätzliches tun, und sie können aus den unterschiedlichsten Gründen dasselbe tun. Das ist der Kern menschlicher Freiheit. Dieser Kern der Freiheit ist durch das Grundgesetz – zentral durch Artikel 1 und 2 – geschützt. Der Schutz dieser Freiheit ist Aufgabe staatlichen Handelns, insbesondere auch der Polizei.

Das Denken, Fühlen oder Wollen eines Menschen ist nur innerhalb sehr enger Grenzen plausibel vorhersehbar. Von anderen kann es immer auch als ungewöhnlich empfunden werden. Aber beruhigend ist, dass der Rechtsstaat keinerlei Lücken aufweist, um auch ungewöhnliches Verhalten mit dem Schutz der Strafprozessordnung zu beurteilen, insbesondere wenn die Rechte, das Leben oder das Eigentum anderer Menschen verletzt wurden. Dafür ist das psychiatrische Vokabular völlig unnötig, ja nachteilig. Psychiater*innen sind meines Erachtens im Wesentlichen ahnungslos, wie es Gert Postel als „Hochstapler“ unter Hochstapler*innen experimentell bewiesen hat, als er in den 1980ern und 90ern mit gefälschten Approbationsurkunden als Psychiater arbeitete, neue Fachbegriffe erfand und damit den Psychiatriebetrieb entlarvte.1

Die beiden Eckpfeiler der Neuorientierung im Umgang mit „schwierigen Personen“ sind zum Ersten das Patientenverfügungsgesetz von 2009 und die im gleichen Jahr ratifizierte Behindertenrechtskonvention, mit denen die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt gestellt wird. Zum Zweiten ist mit dem Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 auch das Recht auf Selbsttötung als Teil der grundgesetzlich geschützten Rechtsordnung bestätig worden.2

Die 2009 in Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention hat Ende 2023 zu der Maßgabe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) geführt, dass die Psychiatrie gewaltfrei sein bzw. werden muss.3 Dadurch hat die Medizin die Rechtfertigung für die Ausübung von Zwang und Gewalt insbesondere auch in der Psychiatrie verloren. Sie muss gewaltfrei werden. Die einzige Ausnahme können noch seuchenhygienische Maßnahmen und entsprechende Quarantänevorschriften sein. Aber allen psychiatrischen Zwangsmaßnahmen und deren gewaltsame Durchsetzung durch die Polizei ist die legitime Grundlage entzogen. Sie werden zur nackten und illegalen Gewalt. Vielmehr dürfen psychiatrische Zwangsmaßnahmen dann, und nur dann noch, angewendet werden, wenn nach einer Überprüfung der Identität in einem entsprechenden positiven Vorausverfügungsregister dokumentiert ist, dass die Person auch diesen gewaltförmigen Schutz explizit wünscht, z. B. durch eine entsprechende Vorausverfügung bzw. Patientenverfügung zur expliziten Rechtfertigung psychiatrischer Zwangsmaßnahmen.4 Ohne eine solche Vorausverfügung dürfen solche Rechtfertigungen nie unterstellt werden. Damit überhaupt eine durch eine positive Vorausverfügung gerechtfertigte polizeiliche Maßnahme durchgeführt werden kann, ist es notwendig, ein entsprechendes Register aufzubauen.

Dass der angebliche „Schutz vor sich selbst“ keine allgemeine Rechtfertigung für den Einsatz von polizeilichen Zwangsmitteln mehr ist, wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Sterbehilfe vom 26. Februar 2020 unterstrichen.5 Dadurch dürfte auch die spezielle Patientenverfügung wesentlich gestärkt worden sein. Mit dieser PatVerfü® wird nicht nur jede psychiatrische Zwangsmaßnahme, sondern auch jede psychiatrische Untersuchung und Diagnose von den Verfügenden untersagt.6 Damit gilt: Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung?7 Das BVerfG hat in seiner Entscheidung Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes so verknüpft, dass es gegen die grundgesetzlich geschützte Würde verstößt, wenn die Freiheit zu einer Selbsttötung unmöglich gemacht wird.

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)
umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen.“

Der Gesetzgeber darf mit seinen Instrumenten nur versuchen sicherzustellen, dass die Entscheidung, das eigene Lebensende herbeizuführen, frei gefasst wird, also tatsächlich dem Willen der Person entspricht. Das Bundesverfassungsgericht hat es in seiner Presserklärung so ausgedrückt:

„Die Anerkennung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben versagt dem Gesetzgeber demnach nicht, allgemeine Suizidprävention zu betreiben und insbesondere krankheitsbedingten Selbsttötung swünschen durch Ausbau und Stärkung palliativmedizinischer Behandlungsangebote entgegenzuwirken. Er muss auch denjenigen Gefahren für die Autonomie und das Leben entgegentreten, die in den gegenwärtigen und absehbaren realen Lebensverhältnissen begründet liegen und eine Entscheidung des Einzelnen für die Selbsttötung und gegen das Leben beeinflussen können…. Der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze aber dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird.“

Das Urteil ist ein starkes Argument gegen die Zwangspsychiatrie und für die Forderung nach einer gewaltfreien Psychiatrie — gewaltfrei auch von Seiten der Polizei.8 Eine wünschenswerte Folge wäre, in allen Bundesländern in der Polizeiaus- und Fortbildung zu lehren, dass in dem Moment, in dem die Polizei zu einer Situation mit einer „schwierigen Person“ kommt, zuerst gefragt werden muss, ob diese eine PatVerfü® hat. Denn in dem Fall des Vorhandenseins kann sie sich nur noch zurückziehen bzw. unbeteiligte Dritte und sich selbst so weit auf Abstand halten, dass jede Gefahr, selbst wenn die Person z. B. mit einem Messer bewaffnet ist, durch die Distanz minimiert wird. Aufgabe der Polizei ist schließlich, die Rechte der Person, die eine PatVerfü® hat, zu schützen und nicht zu brechen. Da, wie oben gesagt, nach der Maßgabe von WHO und des OHCHR die Psychiatrie gewaltfrei sein bzw. werden muss, ist zu erwarten, dass bald ein Zugriff dann und nur dann noch erfolgen darf, wenn er durch eine positive Vorausverfügung legitimiert ist, die in dem erwähnten Register dokumentiert ist.

Nicht nur Selbstgefährdung, sondern auch Fremdgefährdung, beides grundverschiedene Gefährdungen, deren Abwehr bekanntlich als eine Kernaufgabe der Polizei verstanden wird, haben also einen neuen Rahmen bekommen.

Fremdgefährdung: Polizei will niemanden totschlagen?

In Deutschland erfolge ungefähr die Hälfte aller ca. 260 tödlichen Schusswaffeneinsätze der Polizei (1990 bis 2017) in Situationen, bei denen sie wegen einer angeblich „schwierigen Person“ hinzugezogen wurde. In den letzten fünf Jahren haben Polizistinnen laut Tagesschau in Deutschland 37 Menschen in angeblich „psychischen Krisen“ erschossen.9

Ein bezeichnendes Beispiel war der tödliche Schusswaffeneinsatz am Neptunbrunnen in Berlin im Juni 2013, bei dem ein nackter, mit einem Messer bewaffneter Mann drohte, sich schwer zu verletzen und von der Polizei erschossen wurde. Ein besonders markanter Fall, in dem eben nicht nur der Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus abgesperrt wurde, sondern ein Beamter in den Brunnen stieg, auf den Mann zuging, um ihn zu dessen eigener „Rettung“ zu entwaffnen und festzunehmen, als dieser ihn mit seinem Messer bedrohte. Wäre stattdessen nur Abstand gehalten worden und Passant*innen abgewiesen worden, hätte sich der Mann vielleicht weiter verletzen können, aber spätestens dann, wenn sein Blutverlust ihn ohnmächtig hätte werden lassen, hätten die anwesenden Rettungskräfte ihn gefahrlos versorgen können?10

Über die Erschießung von Mouhamed Dramé am 8. August 2022 in Dortmund ist vielfach berichtet worden.11 Ein weiterer Fall in Nordrhein-Westfalen ereignete sich im Oktober 2024. Ein 32-jähriger Mann aus Bochum wurde verleumdet „schizophren“ zu sein, nachdem er geschrien und Gegenstände aus dem Fenster geworfen haben soll. Er wurde in seiner Wohnung durch Schüsse des Bochumer Spezialeinsatzkommandos der Polizei tödlich verletzt. Laut Pressemeldung soll er die Beamtinnen angegriffen und Waffen besessen haben. Tatsächlich trug er lediglich einen Hammer bei sich und hatte sich in seiner Wohnung eingesperrt. Es ging zum Zeitpunkt der Sprengung seiner Wohnungstür keinerlei Gefahr von ihm aus, teilte die Staatsanwaltschaft auf Anfrage des WDR mit.12 Eine rechtliche Aufarbeitung kann nicht mehr erfolgen, weil die Schützen ein Aussageverweigerungsrecht haben und der einzige Zeuge, der Getroffene, tot ist. Ein Fernsehbericht des NDR zum Fall berichtet von der irischen Polizei, die regulär nicht mit Schusswaffen bewaffnet ist und allein dadurch schon die Situation viel ungefährlicher und entspannter angehen kann.13

Eigensicherung durch Abstand nehmen

In den USA wurden zwischen 2015 und 2020 über 5.680 Menschen durch Polizeischüsse getötet, wobei in 1.359 (23 %) dieser Todesfälle nachweislich eine psychiatrisch verleumdete Person beteiligt war. Psychiatrisch verleumdete Personen haben (in den USA) ein etwa 16-mal höheres Risiko, bei einer Schießerei mit Polizeibeteiligung getötet zu werden als andere.14

Im Gegensatz zur US-Polizei ist zu spüren, dass der Eigenschutz durch Deeskalation in Deutschland bekannt ist und auch in nahezu jedem Tatort-Krimi vorgespielt wird. Der Legitimation für Zwangsmaßnahmen dient der juristische Grundsatz, dass niemand über die Rechte anderer verfügen darf. Das muss allerdings beidseitig gelten — so dürfen einerseits nicht die Rechte einer mit einer PatVerfü®-geschützten Person aus dem Patientenverfügungsgesetz § 1901a verletzt werden, wie andererseits niemand eine andere Person gefährden darf, z. B. durch eine Bedrohung oder einen Nötigungsversuch. Dieser Grundsatz gilt für alle Menschen gleichermaßen, und ihm wird im Rechtstaat gerade auch ohne eine Psychiatrisietung, die immer auf Vermutungen oder Verleumdungen beruht, umfassend Rechnung getragen. Nina Hagen, die Schirmfrau der PatVerfü®, hat das so zusammengefasst:

„Wer bestreitet, dass es psychische Krankheiten gibt, bestreitet nicht, dass es auffälliges Verhalten und Andere störende Gedanken und Gefühle gibt.
Bestritten wird nur, dass es sich dabei um eine Krankheit handelt und ärztliche Heilkunst zu Rate zu ziehen sei. Da der Rechtstaat jeden möglichen Winkel des Verhaltens, das die Rechte, das Eigentum oder den Körper Anderer verletzt oder gefährdet, auch ohne die Sonderentrechtungs-Konstruktion von ‚psychischer Krankheit‘ sanktionieren kann, gibt es keine Lücken im Recht, die diese viel weitgehendere und willkürliche Entrechtung und Entwürdigung in der Psychiatrie rechtfertigen könnte. Durch die Zwangspsychiatrie bietet die Medizin der staatlichen Gewalt nur einen zusätzlichen Bestrafungsapparat zum Brechen des Willens, der Uberwachung, Nötigung, Einschüchterung, Bedrohung und Verängstigung erwachsender Bürger an – eine Art Gedankenpolizei.“15

Für eine Zwangsdiagnose gibt es gegenüber einer PatVerfü® keine Rechtfertigung, denn ohne eine Diagnose wird kein Recht eines anderen verletzt. Durch die Verleumdung bzw. Unterstellung einer „psychischen Krankheit“ und Zwangsdiagnosen würden hingegen die Rechte der betroffenen Person aus der PatVerfü® verletzt. Nur durch konkretes Handeln bzw. Taten kann eine Gefährdung usw. eines oder einer Anderen eintreten. Aber diesen konkreten Gefährdungen kann sowieso immer ohne Zwangspsychiatrie begegnet werden, wie es Nina Hagen oben richtig beschrieben hat.

Also gibt es überhaupt keine Rechtfertigung für Festnahmen und Zwangsbehandlung gegen eine PatVerfne mehr, weil a) keine Zwangsdiagnose mehr gemacht werden darf (und sowieso nicht gemacht werden dürfte, wenn die Person konsequent schweigt) und b) Gefährdungen und kriminelle Taten durch das engmaschige Straf- und Ordnungsrecht sowieso erfasst sind, es also keine gesetzeskonforme Rechtfertigung für psychiatrische Zwangsmaßnahmen gibt. Sie sind ein unverhältnismäßiges, weil unzulässig wenig mildes Mittel, eine Missachtung von Art. 2 Grundgesetz, weil die körperliche Unversehrtheit durch eine Zwangsbehandlung verletzt wird. Eine Körperverletzung wird auch durch eine Zwangsdiagnose begangen, wie das Landgericht Köln in seinem Urteil bereits 1995 festgestellt hat (der Arzt musste für eine Diagnose ohne Zustimmung Schmerzensgeld zahlen).16

Dem Einwand, man könne der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt werden, wenn Polizistinnen bei einem Suizidversuch nicht sofort intervenieren, ist entgegenzuhalten, dass sichergestellt sein muss, dass diese Person die Hilfe auch erwünscht. Das ist dem ersten Anschein nach bei einem Selbsttötungsversuch gerade nicht der Fall. Vielmehr nimmt diese
Person ihr Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben wahr» Die Verhinderung eines Suizidversuchs – ohne dass vorab von der betroffenen Person schriftlich eine ausdrückliche willentliche Festlegung dafür getroffen wurde – kann als eine persönliche Entscheidung auch mit Zwang und Gewalt getan werden, aber nur, wenn dies ohne staatliche Deckung geschieht, sondern eine persönliche, eventuell sogar religiös begründete Gewissensentscheidung ist (z. B. wegen einer typisch katholischen Lebenspflicht). Eine Person, die diese Entscheidung missachtet, muss dabei bereit sein bzw. in Kauf nehmen, wegen einer Freiheitsberaubung und womöglich Körperverletzung angeklagt zu werden, wenn die suizidale Person eine Anzeige durch ihr Zeugnis unterstützt. Richter*Innen können dann immer noch ihre Ermessensspielräume nutzen.

Wenn es um die nötige Eigensicherung in einer potenziell für gefährlich erachteten Situation geht, ist die beste und sicherste Vorgehensweise, ohne Ansehen der Person, Abstand zu halten bzw. diesen zu vergrößern und Unbeteiligte außer Reichweite zu bringen. Durch die räumliche Distanz wird bei Straftaten wie bei „schwierigen“ Menschen vielleicht der Zugriff schwieriger bzw. verzögert sich, aber die Situation wird deeskaliert und entschärft. Der Aggression wird Wind aus den Segeln genommen.

Wie oft ist Denken reflexiv?

Wie oft ist die eigene Angst vor dem Handeln einer „schwierigen Person“ nur die Angst, die dieser anderen Person unterstellt wird, also wie „gespiegelt“ erscheint? Und umgekehrt: Wie oft ist die Angst vor der Polizei nur eine, die von der „schwierigen Person“ der Polizei unterstellt wird? Dies führt leider oft zu dramatischen Missverständnissen, wenn zur Abwehr der eigenen Angst zu bedrohlichen Mitteln gegriffen wird, z. B. einer echten oder nur einer täuschend ähnlichen Bewaffnung. Da hilft nur noch Deeskalation; der oder die Klügere gibt nach. Leider wird diese Problematik oft falsch eingeschätzt und eine von der Person – potenziell – ausgehende Gefahr wird als Tatsache angenommen, obwohl möglicherweise lediglich eine Unsicherheit oder ein Missverständnis vorliegt. So kann es zu provokant wahrgenommenen bzw. provozierenden Ausfällen bei den „schwierigen Personen“ kommen. Angriffe dieser Menschen entstehen jedoch nicht zufällig. Die Angriffe ergeben sich zumeist aus der vorangegangenen Interaktion, die Frustration, Unsicherheit oder das Gefühl auslösen, angegriffen zu werden. Eine Verteidigungshaltung als Reflex aus einer angeblichen oder tatsächlichen Opferrolle ist typisch.

Häufig reagieren psychiatrisch verleumdete Personen sensibler auf ihre Umwelt und erleben bspw. eine Reizüberflutung, wenn mehrere Personen auf sie einreden. Sie wünschen darum auch eine größere persönliche Distanz als andere Menschen, daher reagieren sie häufig negativ oder aggressiv, wenn man ihnen zu nahekommt. Aus der allgemeinen Abwertung psychiatrisch verleumdeter Personen, sehen diese die Dinge oft anders als andere Menschen, weil sie sich eher bedroht oder verfolgt fühlen. Deshalb ist es wichtig, dass man ihnen verbal und nonverbal, insbesondere durch Distanz-Vergrößerung, signalisiert, dass sie keine Angst zu haben brauchen, dass man ihnen helfen wird, vielleicht sogar behilflich sein kann, ihr Problem zu lösen. Das geht aber nur, wenn alles Bedrohliche und Aggressive vermieden oder zumindest reduziert wird – auch wenn nie ganz sichergestellt werden kann, dass verbale oder nonverbale Botschaften und Signale anders oder sogar entgegengesetzt wahrgenommen werden (eine gewisse Plausibilität für die Interpretation von Verhalten ist aber im Allgemeinen vorhanden). Auch im Extremfall sollte das polizeiliche Handeln nicht als konkrete Bedrohung empfunden werden müssen, sondern das Stressniveau senken. Ein nötiger Zugriff nach einer Straftat ist regelmäßig auch noch später, in einem entspannteren bzw. überraschenden Kontext, möglich.

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Fussnoten

1 vgl. www.gert-postel.de
2 Bundesverfassungsgericht: Urteil v. 26. Februar 2020, Az. 2 BvR 2347/15
3 WHO; OHCHR: Psychische Gesundheit, Menschenrechte und Gesetzgebung, Berlin 2024, https://www.die-bpe.de/who&un.pdf
4 Muster einer positiven Vorausverfügung: www.psychiatrie-erfahren.de/positivestestament.htm
5 Bundesverfassungsgericht a.a.O. (Fn. 2)
6 www.PatVerfue.de
7 Hagen, N.: Nina Hagen erklärt die PatVerfü, www.zwangspsychiatrie.de/nina-hagen-erklaert-die-patverfue
8 Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig, Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts v. 26.2.2020
9 s. www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/polizei-psychische-ausnahmesituation-100.html zur Statistik der tödlichen Polizeischüsse s. S. 24ff. in diesem Heft
10 s. Das Leben ist kein Film, taz v. 1.7.2013
11 s. www.zdf.de/dokumentation/die-spur/polizeieinsatz-gewalt-rassismusverdacht-dortmund-nordstadt-100.html ; www.ardaudiothek.de/sendung/mouhamed-dram-wenn-die-polizei-toetet-wdr-lokalzeit/13407601 (Podcast); s.a. https://justice4mouhamed.org
12 www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/polizisten-erschiessen-randalierer-in-bochum-100.html
13 https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Polizeieinsaetze-Wie-umgehen-mit-psychisch-Kranken,panoramadrei4770.html
14 Fuller, D. A. u.a.: Overlooked in the Undercounted: the role af mental illness in fatal law enforcement encounters, Alexandria, VA 2015, https://tac2.secure.nonprofitsoapbox.com/overlooked-in-the-undercounted
15 Hagen a.a.O. (Fn. 7)
16 Landgericht Köln: Entscheidung vom 8.2.1995, Az.: 25O307/92

(Anmerkung des Autors: Dieser Text wurde vor der Fahrt des forensischen Psychiaters in Magdeburg verfasst, der am 20.12.2024 mit seinem Auto 6 Menschen tötete und ca. 300 verletzte. Ein „Profi“ gerade der Berufsgruppe, die angeblich gefährliche Taten voraussagen können soll als Täter, disqualifiziert die Fähigkeiten dieser Orakel-Gilde gründlich, siehe unsere Hinweise hier.)