Menschenrechte? Na wenn´s der Gesundung dient :-)
In den gemeinsamen Leitlinien von UN und WHO: https://www.who.int/publications/i/item/9789240080737# wird auch auf Seite 111 (unten übersetzt) der Maßregelvollzug, insbesondere die psychiatrische Begutachtung als Eingangsvoraussetzung, abgeräumt. Mit weit reichenden Folgen, denn wenn in keinem Strafverfahren mehr mit einer psychiatrischen Untersuchung ein Sonderrecht angewendet werden kann, dann selbstverständlich erst recht nicht in einem polizeirechtlichen, zivilrechtlichen oder betreuungsrechtlichen Verfahren. Mag auch die Wortwahl „psychische Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen“ sicher nicht die Unsere sein, aber das spielt dann auch keine Rolle mehr, wenn die psychiatrischen Sondergesetze alle abgeschafft sind und stattdessen gilt: Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung!
Ein Sonderlob an Martin Zinkler, der ein Mitautor dieser Leitlinien ist.
Man merke sich: die Zwangspsychiatrie muss nicht mehr nur aus menschenrechtlichen Gründen, sondern auch aus medizinischen Gründen abgeschafft werden, aber nicht etwa, weil deren Drogen oder Elektroschock usw. schädlich wären, sondern weil sie Zwang und Gewalt anwendet!
Zugang zur Justiz
Viel zu vielen Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen wird der gleichberechtigte Zugang zur Justiz verwehrt. Viele werden strafrechtlich verfolgt und inhaftiert, oft wegen relativ geringfügiger Vergehen; anderen wird die Möglichkeit verwehrt, bei Verstößen gegen ihre Menschenrechte vor Gericht zu ziehen. Im Allgemeinen wird ihnen regelmäßig ein geringerer materiell- und verfahrensrechtlicher Schutz gewährt, was häufig zu Rechtsverweigerung, Inhaftierung und Zwangsbehandlung führt (309).
Es würde den Rahmen dieser Leitlinien sprengen, das Justizsystem so umzugestalten, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen ihre Rechte in gleicher Weise wie andere wahrnehmen können. Allerdings sind die psychische Gesundheit und die Justizsysteme unbestreitbar miteinander verflochten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Strafrecht. In den meisten Staaten sind Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen im Strafrechtssystem überrepräsentiert, und Gefangene mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen werden häufig von anderen Gefangenen und dem Gefängnispersonal schikaniert (310, 311). Insbesondere Menschen afrikanischer Abstammung, indigene Völker und rassische, religiöse und ethnische Minderheiten mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen sind mit erheblichen Ungleichheiten im Strafrechtssystem konfrontiert (312). Darüber hinaus werden Personen, die als „verhandlungsunfähig“ oder nicht in der Lage sind, ihre kriminellen Handlungen nachzuvollziehen, in der Regel ohne ordnungsgemäßes Verfahren und unter strengen Auflagen, manchmal auf unbestimmte Zeit, in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht. In den Gesetzen zur psychischen Gesundheit sind häufig Verfahren für den Umgang mit solchen Situationen festgelegt, auch in forensischen psychiatrischen Einrichtungen.
In diesem Abschnitt soll über diese Herausforderungen und Überschneidungen nachgedacht werden, und es werden gesetzliche Bestimmungen vorgeschlagen, die sicherstellen sollen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen das Recht auf ein faires Verfahren auf der gleichen Grundlage wie andere haben und das Recht auf angemessene Vorkehrungen und Unterstützung im Justizsystem, einschließlich des Zugangs zu Rechtsbeistand und hochwertigen psychosozialen Diensten. Dennoch sind weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in diesem Bereich erforderlich, um besser zu evidenzbasierten Empfehlungen zu gelangen.
Anerkennung und Unterstützung der Rechtsfähigkeit beim Zugang zur Justiz
Ein wirksamer Zugang zur Justiz setzt voraus, dass die Gerichte die volle Geschäftsfähigkeit und das Recht des Einzelnen auf Teilnahme an allen Gerichtsverfahren anerkennen. In den meisten Gerichtsbarkeiten werden Begriffe wie „kognitives Unvermögen“ und „geistiges Unvermögen“ verwendet, um das Recht einer Person, ein Verfahren einzuleiten oder vor Gericht zu erscheinen, einzuschränken. Diese „Unzurechnungsfähigkeit“ wird häufig von psychosozialen Fachkräften anhand von Beurteilungen des funktionalen oder psychischen Zustands festgestellt oder mitgeteilt.
Im Rahmen eines Strafverfahrens erfolgt die Beurteilung der „psychischen Eignung“ für die Verhandlung häufig vor Beginn der Verhandlung, kann aber auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt während des Verfahrens erfolgen. Wird eine Person für verhandlungsunfähig befunden, ist das Gericht gesetzlich befugt, die Person zur Behandlung in eine psychiatrische Einrichtung einzuweisen. Das Strafverfahren darf erst dann wieder aufgenommen werden, wenn die Person wieder verhandlungsfähig ist, was ein unbestimmter Zeitraum sein kann.
Mit dem Begriff „Verhandlungsfähigkeit“ soll ein faires Verfahren gewährleistet werden, so dass niemand vor Gericht steht, der Art, Gegenstand und Folgen des Verfahrens nicht versteht oder nicht in der Lage ist, sich angemessen zu verteidigen. Dies kann jedoch dazu führen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen das Recht vorenthalten wird, gleichberechtigt mit anderen Zugang zur Justiz zu erhalten und ihre Unschuld zu beweisen. Darüber hinaus werden sie einem alternativen Verfahren mit weniger materiellen und verfahrensrechtlichen Garantien unterworfen, bei dem sie Maßnahmen unterworfen werden können, die mit Freiheitsentzug und nicht freiwilliger Behandlung einhergehen, und zwar häufig auf unbestimmte Zeit oder für wesentlich längere Zeiträume als bei einer Verurteilung wegen einer Straftat gemäß den Garantien eines ordnungsgemäßen Verfahrens.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass das Justizsystem und das Strafrecht die volle Rechtsfähigkeit und das Recht von Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen auf Teilnahme an den Verfahren aller Gerichte anerkennen und annehmen. Dies würde die Aufhebung von Bestimmungen bedeuten, die die Doktrinen der „Verhandlungsunfähigkeit“ und der „Verhandlungsunfähigkeit“ aufstellen und anwenden, die Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen an der Teilnahme an Gerichtsverfahren hindern.
Um ihre wirksame Teilnahme an allen Gerichtsverfahren zu gewährleisten, kann der Gesetzgeber ein einklagbares Recht auf individuell festgelegte verfahrensrechtliche Vorkehrungen einführen. Dabei handelt es sich um die notwendigen und angemessenen Änderungen und Anpassungen im Rahmen des Zugangs zur Justiz, die in einem bestimmten Fall erforderlich sind, um die gleichberechtigte Teilnahme von Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen zu gewährleisten (313). Im Gegensatz zu „angemessenen Vorkehrungen“ werden „verfahrensrechtliche Vorkehrungen“ nicht durch das Konzept der „unverhältnismäßigen oder unzumutbaren Belastung“ eingeschränkt (313).
Auf diese Weise können sich die Menschen auf die notwendigen Anpassungen und Unterstützungen verlassen, um: i) die Art und den Gegenstand des Gerichtsverfahrens zu verstehen; ii) die möglichen Folgen des Verfahrens zu begreifen; und iii) mit dem
mit dem Rechtsbeistand zu kommunizieren. So können beispielsweise Vermittler oder Moderatoren die klare Kommunikation zwischen Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen und den Gerichten, Tribunalen und Strafverfolgungsbehörden verbessern, um eine sichere, faire und wirksame Beteiligung und die Möglichkeit zur uneingeschränkten Teilnahme an rechtlichen Verfahren zu gewährleisten (314).
Die Internationalen Grundsätze und Leitlinien für den Zugang zur Justiz für Menschen mit Behinderungen (August 2020) enthalten Beispiele dafür, wie verfahrensrechtliche Vorkehrungen im Strafrechtssystem getroffen werden können (9).
Um das Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten, kann der Gesetzgeber auch dafür sorgen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen in allen Rechtsverfahren, die ihre Grundrechte betreffen, kostenlosen oder erschwinglichen Rechtsbeistand erhalten (315). Der Rechtsbeistand sollte kompetent und zeitnah verfügbar sein.
Auf was die (Zahlen) für die Fußnoten verweisen, kann im englischen Originaltext nachgesehen werden.