Die gewaltfreie Psychiatrie subversiv verwirklichen

Bei einer Fortbildung in der Psychiatrie von Bremen hat René folgenden Weg zu einer gewaltfreien Psychiatrie so vorgestellt:
Die gewaltfreie Psychiatrie subversiv verwirklichen und keine Angst vor Haftungs-ansprüchen!

Zunächst wurde die positive Vorausverfügung verteilt und aufgefordert sich zu überlegen ob, und wenn ja wie man diese ausfüllen will.
Alle die keine positive Vorausverfügung unterzeichneten, müssten bei der folgenden „Kursänderung“ mitmachen und dann sind alle von gerichtlichen Genehmigungsverfahren und von illegitimer Gewaltausübung in der Psychiatrie des ZKH Bremen-Ost befreit.
Nur die, aber auch nur die, die eine positive Vorausverfügung inkl. der Legalisierung von Zwangsmaßnahmen ausgefüllt haben, müssen bei den folgenden Übungen nicht mitmachen. Die bat ich darum, nur noch zu zuhören und sich nicht mehr aktiv zu beteiligen. Selbstverständlich können sie ihre mit den Menschenrechten unvereinbaren Gewaltmaßnahmen weiter ausüben, bis der Gesetzgeber PsychKG und Zwangseinweisung nach Betreuungsrecht endlich abgeschafft hat.
Nächster Schritt: Die Tatsache, wer zur Gewaltausübung bereit ist und wer nicht, wird in einem Schaubild mit Namen und Porträt in der Eingangshalle bekannt gemacht, etwa so: „Mitarbeiter stellen sich mit ihren Spezial-Kenntnissen vor„.
Mit den MitarbeiterInnen, die eine positive Vorausverfügung unterschrieben haben und in dem Schaubild vorgestellt werden, kann dann auf den geschlossenen Stationen eine profitable Sado-Masochistische Abteilung betrieben werden, die mit „ärztlich überwacht“ und sogar „Krankenkassen bezuschusst“ angepriesen wird.

Ab dann wird bei jeder Einweisung/Unterbringung, bei der u.U. eine Zwangseinweisung erwogen werden könnte, dem Betroffenen erst mal sowohl die PatVerfü als auch eine positive Vorausverfügung zur Entscheidung und Unterschrift vorgelegt (da wurde die PatVerfü verteilt). Damit würde jede Zwangsmaßnahme und Unterbringung (ohne Zustimmung) unterbunden, eben: Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung! Denn die Betroffenen, die eine positive Vorausverfügung unterzeichnen, werden an den bzw. die Kollegin mit den Spezial-Kenntnissen zu Behandlung weiter geleitet. Eine Kopie der PatVerfü bzw. positive Vorausverfügung wird zu den Akten genommen, verbunden mit einem kurzen ärztlichen Statement, dass die Person einwilligungsfähig war bzw. ist. Mit unterzeichneter PatVerfü wird dann nach Wunsch auf offenen Stationen ohne Türen, die man abschließen kann, behandelt, Drogen nach Geschmack und wem die Matratze zu hart ist, kann gehen. Im Prinzip wie in der Jugendherberge, Hotel oder Obdachlosenunterkunft mit Drogen Angeboten nach ärztlichem Dafürhalten.

Die geschlossene Abteilung schrumpft zu einem Bereich für die, die eine positive Vorausverfügung mitbringen oder eine solche unterzeichnet haben, eben zu einer wie vorher beschriebenen S/M Abteilung.
Nur die Patienten, die das eben von vornherein wollen, können/sollen noch gezwungen werden und können dann selbstverständlich auch menschenrechtlich einwandfrei gezwungen werden – wie gesagt wie bei jedem S/M Spiel. Später nach der „Genesung“ können sie diese positive Vorausverfügung ja immer noch widerrufen.

Keine Angst vor Haftungsansprüchen
Das Ziel von Gewaltfreiheit ist  Gewaltfreiheit als Wert an sich – durch Gewaltfreiheit soll eine Fürsorge ermöglicht werden, und das ist keinesfalls durch eine nur vorgeblich „bessere“ Behandlung zu erreichen. Sonst gibt es immer nur noch mehr solche „Behandlung“ und Profiteuren von solchen „Behandlungen“ – wir nennen das Barockifizierung (typisches Beispiel dafür sind die sich „Beschwerdestelle“ nennenden Beschwichtigungsstellen).

Ein paar Gedanken dazu, warum die Behandelnden so eine „irrationale“ Angst vor der Gewaltfreiheit haben.
Warum wird die einfache Gleichung, dass eine gewaltfreie Psychiatrie die notwendige Voraussetzung für eine bessere Behandlung ist, nicht verstanden, sondern der Unsinn vertreten, dass angeblich eine bessere „Behandlung“ zu einer gewaltfreien Psychiatrie führe?
Wenn man den Ärzten Gutwilligkeit unterstellt: Aus Angst.
Sadismus und Zynismus (Foucaults Begriff der Macht ist sado-anal) als Triebfeder wäre die andere Antwort.

Ich vermute, dass die Angst vor dem Verlust der Macht die größte Rolle spielt. Insbesondere, weil bei deren Verlust die Schuld an den Misshandlungen, Folter und Gewalt wird geklärt werden müssen und das wird typischerweise sehr gefürchtet – es könnte eine Abrechnung geben (obwohl es die selbst bei den systematischen Massenmorden von 1939-1949 nur minimalst gegeben hat, siehe unsere 8 Forderungen )

Wenn man von dieser Erklärung aufgrund einer ängstlich befürchteten Reaktion absehen will, dann könnte es die Angst sein, dass unter den Bedingungen der Gewaltfreiheit „was passieren könnte“, Akte von Gewalt geschehen könnten, die als Fehler den Behandelnden angerechnet werden könnten und nicht denen, die sie begehen. Eine typischer Folge des dieser Haltung innewohnenden Paternalismus ist die, dass eine Nichtbehandlung als eigene Verantwortlichkeit gegenüber des damit schon zum Unmündigen gemachten konzipiert und diese damit erst recht manifestiert wird.

Um diese Angst „ernst“ zu nehmen und um ihr zu begegnen, muss als erstes darauf hingewiesen werden, dass ärztlicher Kunst prinzipiell die Möglichkeit innewohnt, Fehler zu begehen. Das macht sozusagen das Wagnis aus, Arzt sein/werden zu wollen. No Risk no Fun. Dafür werden Ärzte bezahlt und sowieso werden in aller Regel die Fehler andere ausbaden müssen, die fehl-behandelt, womöglich körperverletzt sind (oder sei es nur ein Vermögensschaden, den eine Haftpflicht-Versicherung trägt).
Immer könnte man sich geirrt haben, etwas übersehen haben, einer Fehleinschätzung erlegen sein. Permanent sterben deshalb Menschen und es ist eine Folge der Unbeweisbarkeit, dass infolge des Wissensvorsprungs und des Corpgeistes der Behandelnden so gut wie nie ein/e Behandelnde/r für diese begangenen Fehler zur Rechenschaft gezogen wird. Es führt zur Hybris der Macht, dass daraus leicht gefolgert wird, dass deswegen auch diese Macht sozusagen Gott-gewollt wäre.

Es kann dem medizinischen Personal in einer Psychiatrie also so gut wie nie was passieren, Gert Postel lässt grüßen. Ein anderes Beispiel ist Frau Prof. Sabine Herpertz: Über archive.org ist die Dokumentation Tod in Rostock zu finden, wie Frau Prof. Sabine Herpertz von der Staatsanwaltschaft aus der Patsche geholfen wurde.
Trotzdem ist sie bis ganz nach oben in die DGPPN Vorstandhöhen gestolpert. Seit 2009  ist sie Lehrstuhlinhaberin für Allgemeine Psychiatrie und Ärztliche Direktorin des berüchtigten, von uns Carl Schneider Klinik getauften Universitätsklinikum Heidelberg geworden. Das geht prima, so wie bis in die Anfangs 90er Jahre Hans Joachim Rauch dort tätig war. Jahrzehntelang war Hans-Joachim Rauch, der als Gerichtspsychiater noch in Stammheim seine großen Auftritte hatte, Ordinarius in Heidelberg. Während der NS-Zeit, damals noch Pathologe, sezierte er die Gehirne vergaster Kinder. Die kleinen Patienten wurden zur Ermordung in die Anstalt Eichberg bei Heidelberg gebracht; Rauchs Institut stillte den Begehr nach deren lebendfrischen Organen, zum Beispiel »außer dem Gehirn, Ausschnitte aus dem gesamten inneren Drüsensystem«, siehe Spiegel Bericht hier.

Was ist also dran an der Angst, dass „was passieren könnte“?
Ich denke, gar nix, sondern, so traurig es auch ist, das reduziert sich alles auf die Angst vor dem Verlust der Macht, erniedrigen, demütigen, schikanieren und durch sog. „Diagnosen“ sich zur/m Herrscher/Herrscherin phantasieren zu können.

Übersehen wird dabei, dass so, wie die Entropie immer zunimmt, man aus einem Aquarium zwar eine Fischsuppe machen kann, aber umgekehrt das nicht geht, die Gewaltanwendung als Bestrafung ungewöhnlichen Verhaltens, zu einer Trennwand zwischen denen wird, die diese diagnostische Verleumdung als Endwürdigung und Misshandlung erlebt haben und denen, die das nie erleben mussten. Die Gewaltanwendung kann auch nicht durch eine weitere psychiatrische Behandlung „geheilt“ werden (wie sich das Prof. Kruckenberg im Foucault Tribunal vorgestellt hat). Aus einer Fischsuppe wird nie mehr ein Aquarium. Das ist ein weiterer Grund, warum am Zwang so verbissen festgehalten wird und erbarmungslos das Mantra gedreht wird, dass es sich doch nur um eine „Krankheit“ (noch verhexter, wenn sie als „Hirnstoffwechsel“-Erkrankung phantasiert wird) wie jede andere handele, um die (Selbst?)Täuschung aufrecht zu erhalten, dass diese Trennwand nicht existiere.
Eigentlich müsste das Prof. Christian Pross wissen, dass das genau so auch bei Folteropfern der Fall ist. Stattdessen wird uns 1997 beim Besuch im Vorfeld des Foucault Tribunals seines Behandlungszentrums für Folteropfer erzählt, dass mit Elektroschock behandelte Psychiatriepatieten nicht aufgenommen würden, weil es so einen unglaublichen Unterschied zwischen gewaltsam E-Schock Gefolterten psychiatrisch Verleumdeten (z.B. aus der nur 600 m entfernten FU Psychiatrie) und den in autoritären Ländern politisch und militärisch Verfolgten Elektro-Schock Gequälten gäbe, nur um die man sich in dem Behandlungszentrums kümmere.  Welche Hirn organischen Unterschiede der Prof. Christian Pross sich da wohl zusammen phantasiert hat?

René Talbot


7 aktuelle Texte und Bücher in Deutsch und 7 in Englisch zur überfälligen Abschaffung der §§ 20, 21, 63 und 64 verlinkt in einer neue Website gegen § 63 und seine Vorhöfe hier


Wir hatten das immer wieder gesagt:
z.B. hier 2013:  ‚Alzheimer‘ Gipfel – das Stochern im Nebel geht weiter
und hier 2017: Fatale Diagnose – Abgestempelt als dement
und hier 2019:  Die große Ahnungslosigkeit
Aber wer nicht hören will, muss fühlen, nun wird in diesem Bericht der Tagesschau noch mal eindrucksvoll bestätigt, wie die Ärzte gemeinsam mit der Pharmaindustrie hunderte Millionen für nix und wieder nix verballert haben, siehe hier.