Bremen: Rote Laterne bei den Menschenrechten in der Zwangspsychiatrie
Bundesverband
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Bundesarbeitsgemeinschaft
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An die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz der Freien Hansestadt Bremen
Frau Claudia Bernhard
Contrescarpe 72
28195 Bremen
O F F E N E R B R I E F
Sehr geehrte Frau Senatorin Bernhard,
Das Land Bremen ist mit 235 Zwangseinweisungen nach PsychKG pro 100.000 Einwohner pro Jahr einsamer Spitzenreiter unter allen Bundesländern. Bremen hat jährlich 10,4 mal so viele Zwangseinweisungen nach Landesgesetzgebung (PsychKG) wie Sachsen (Inzidenz-Zahlen wie bei Corona: pro 100.000 Einwohner). 2014 wurden zwangseingewiesen (neuere Zahlen wurden vom Bundamt für Justiz leider nicht veröffentlich):
Bremen 235,1
Schleswig-Holstein 213,5; Hamburg 188,2; Hessen 185,5; Nordrhein-Westfalen134,3; Niedersachsen 109,5; Bayern 103; Sachsen-Anhalt 89,5; Rheinland-Pfalz 88,5; Saarland 87,4; Berlin 77; Mecklenburg-Vorpommern 75,9; Thüringen 47,3; Brandenburg 42; Baden-Württemberg 35;
Sachsen 20,6
Der Psychiatriereferent von Bremen, Jörg Utschakowski, fragt, was von Bremen auf die Bundesebene übertragbar sei. Dabei müsste aber Bremen zuerst eine tatsächliche Reform der Psychiatrie bewerkstelligen, indem das Land Bremen mit seiner Gesetzgebungs-Kompetenz den Zwang in der Psychiatrie abschafft, z.B. indem im PsychKG UN-BRK-konform alle Zwangs- und Gewaltelemente gestrichen werden. Vergleichszahlen aus anderen Bundesländern siehe oben!
Aber dieses politische Projekt trauen Sie sich offenbar nicht anzupacken. Auf den Brief mit dem Angebot von dem BPE und die-BPE gemeinsam mit Ihnen eine Tagung Gewaltfreie Psychiatrie! zu planen und zu organisieren wurde seit dem 18. September trotz Erinnerung bis zum 18.11. nicht geantwortet. Martin Zinkler als neuen Chefarzt der Psychiatrie ins Zentralkrankenhaus Bremen Ost zu holen, kann dann nur noch so verstanden werden, dass er nach Bremen geholt wurde, um ihn als ein Feigenblatt vorzuzeigen, aber gleichzeitig dessen wegweisendes Konzept einer gewaltfreien Psychiatrie zu ignorieren. Das bitte hier nachlesen. Dabei hatte die Partei DIE LINKE in den drei vergangenen Bundestagswahlprogrammen 2013, 2017, 2021 folgendes versprochen: „Rechtliche Diskriminierung, insbesondere über psychiatrische Sondergesetze und ärztliche oder betreuungsrechtliche Zwangsbefugnisse, ist aufzuheben.“
Alles nur Heuchelei. Denn wenn´s drauf ankommt, dann wird immer nur links geblinkt, um dann rechts abzubiegen, alles nur Täuschung der WählerInnen, Schaufensterdokoration, um alles weiter so Menschenrechte verachtend zu belassen, wie es ist. So haben Sie als Gesundheitssenatorin in einem Brief vom 18.11.2021 zwar zugesagt, Zitat:
…Bezüglich des Titels der Tagung bin ich mit der Setzung des Ausrufezeichens einverstanden und stimme Ihnen in dieser eindeutigen Positionierung zur Gewaltfreiheit zu. Ich behalte mir aber vor, im weiteren Planungsverlauf einen Untertitel einzubringen….
Darauf anwortete der BPE und die-BPE am 23.11.2021:
Wir hatten in unserem Vorschlag [vom 18.9.2021] für eine Tagung/Kongress Gewaltfreie Psychiatrie von einer gemeinsamen Planung, Organisation und Durchführung von drei gleichberechtigten Partnern gesprochen. Wir möchten diesen Vorschlag nun so modifizieren:
Wir schlagen von unserer Seite vor, dass wir, der BPE + die-BPE, kooperieren und dann mit Ihnen, der Gesundheitssenatorin, paritätisch zusammenarbeiten, also beide Seiten ein Vetorecht haben. Wen Sie dann noch auf ihrer Seite z.B. als Berater oder Bevollmächtigte einbeziehen wollen, steht Ihnen selbstverständlich völlig frei. Wir sagen aber deutlich, dass wir die Hinhaltetaktik von den der DGSP verbundenen Vereinen und Institutionen für nicht wirklich hilfreich halten, wie wir in unserem Flugblatt deutlich gemacht haben, das wir Ihnen bei unserer Begegnung [am 11.11.2021] übergeben haben und nochmals anbei als pdf beifügen.
Sie schrieben dann am 20.1.2022:
…Daher ist für die Beteiligung der Gesundheitsbehörde an dieser Tagung die aktive Einbeziehung von Akteuren aus der psychiatrischen Versorgung in Bremen Voraussetzung. Diese aktive Beteiligung wäre dann auch verbunden mit einer inhaltlichen Ausrichtung, in der die unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema der Gewaltfreien Psychiatrie vertreten wären.
Leider haben Sie in ihrem Schreiben vom 23.11.21 deutlich gemacht, dass Sie der Organisation der Tagung durch einen pluralistischen Kooperationsverbund nicht zustimmen werden. Ich muss Ihnen daher mitteilen, dass die Durchführung einer gemeinsamen Tagung unter den von Ihnen skizzierten Bedingungen für mich nicht in Frage kommt… „die aktive Einbeziehung von Akteuren aus der psychiatrischen Versorgung in Bremen [ist]Voraussetzung.“.
Genau das hatten wir angeboten – eine paritätische besetzte Vorbereitungsgruppe.
Jetzt wissen wir, was Sie tatsächlich wollen: Für Sie ist entscheidend, dass Sie und ihre psychiatrischen Helfershelfer uns hegemonial beherrschen können sollen und unsere Selbstbestimmung von allen möglichen Perspektiven und Meinungen in Zweifel gezogen werden können soll. Zu einer paritätischen Zusammenarbeit sind Sie entweder nicht in der Lage, aber vielmehr ist zu vermuten, dass es die nicht geben darf. Die Selbstbestimmung ist bei informed consent, wie er sonst in der Medizin Erwachsener verbindlich ist, unhinterfragbar. Aber sie wollen für eine gemeinsame Veranstaltung vorschreiben, dass Angehörige, Sozialarbeiter, Vormünder – irreführend beschönigend als „Betreuer“ bezeichnet, Richter, Pharmakologen, Quacksalber, etc. dabei mitmachen müssten. Das zur Bedingung einer Veranstaltung zu machen, in der es um die Selbstbestimmung der uns eigenen Körper und Seelen und unsere Würde geht, um nicht mehr ihrem Zwangs- und Gewaltsystem mit einem Folterregime ausgeliefert zu sein, ist nicht nur absurd, sondern infam. Sie haben genauso wenig von der grund- und menschenrechlich geschützten Freiheit zur Selbstbestimmung verstanden, wie z.B. die Menschen, die meinen, eine Verheiratung müsse auch in Deutschland durch die Familie erzwungen werden können.
So wird Ihre Absage zu einer Demonstration ihrer psychiatrischen Ethik- und Moralvorstellungen, die nicht die der Medizin sind, sondern von patriarchalen Erwartungen der Unterwerfung und Entwürdigung unter die hegemoniale Herrschaft eines psychiatrischen Netzwerks geprägt sind. Diesem weltweite Racket, wie Max Horkheimer* solche Verflechtungen genannt hat, hat sich bei der Psychiatrie in der World-Psychiatric Association (WPA) gespannt. Ihm haben Sie sich offfensichtlich verpflichtet. Als eine „Verschwörung“ wird von dem Präsident deren Ethik-Ausschusses, Prof. Paul Appelbaum, phantasiert, wie die UN-BRK entstanden sei **: „Kurz gesagt, die Schuld liegt bei einem Entwurfsprozess, der von einigen der radikalsten Elemente der Patientenrechtebewegung gekapert wurde, ….“ So kann es nur bei dem Spitzenplatz der Psychiatrie-Gewalt nach Bremer Landesrecht bleiben.
Hochachtungsvoll
Sabine Wieg René Talbot und Uwe Pankow
(für den Vorstand des BPE) (für den Vorstand von die-BPE)
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* Krankheit und Kriminalität – Die Ärzte- und Medizinkritik der kritischen Theorie, von Carl Wiemer: https://tinyurl.com/carlwiemer
** World Psychiatry – Official Journal of the World Psychiatric Association (WPA,) Editorial Seite 1, https://docs.wixstatic.com/ugd/e172f3_71d7c75219fb432c9cd2a13c304ec3de.pdf
Wir berichteten im Dezember 2021 über den Plan des Justizministeriums von NRW, ambulante Zwangsbehandlung durch die betreuungsrechtliche Hintertür zu legalisieren, siehe hier. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass auch dieser Versuch rundum gescheitert ist 🙂
Siehe die Mitteilung des BPE und des LPE-NRW, die hier veröffentlicht ist.