2 Beschlüsse das BVerfG bestätigen, wie fahrlässig die unteren Gerichte Zwangseinweisungen vornehmen
Anmerkung von RA Alexander Paetow zitiert aus der aktuellen Recht&Psychiatrie, Seite 220 zum Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Mai 2020 – 2 BvR 1529/19 und 2 BvR 1625/19.
In dieser Entscheidung befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit der Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses im Wege der einstweiligen Anordnung. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in mehrfacher Hinsicht interessant, da diese sich u. a. mit dem Verhältnis der verschiedenen Unterbringungstatbestände des § 1906 Abs. 1 BGB untereinander, den Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum Zwecke der Heilbehandlung und den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 331 FamFG befasst. Weiterhin befasst sich die Entscheidung mit den an die tatrichterliche Sachverhaltsaufklärung und die tatrichterlichen Feststellungen zu stellenden Anforderungen und rügt die unzureichende Sachverhaltsaufklärung und Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterbringung und der angenommenen Eilbedürftigkeit im Sinne des § 331 FamFG durch die Fachgerichte.
Das Bundesverfassungsgericht weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass eine Selbstgefährdung, welche ausschließlich durch eine unterlassene Heilbehandlung droht, nicht von dem Unterbringungstatbestand des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, sondern lediglich von dem spezielleren Tatbestand des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfasst wird. Um eine Eigengefährdung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu begründen, könne nicht allein auf eine mögliche Entwicklung ohne Heilbehandlung abgestellt werden. Vielmehr seien darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen.
Ferner stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass eine nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB angeordnete Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung nur dann verhältnismäßig ist, wenn während der Unterbringung eine Erfolg versprechende Heilbehandlung überhaupt durchgeführt werden kann, ohne ihrerseits Grundrechte der Betroffenen zu verletzten (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juli 2015 – 2 BvR 1549/14 – Rn. 43; BGH, Beschluss vom 30. Juli 2014 – XII ZB 169/14 – Rn. 21 ff.). Da im vorliegenden Fall auszuschließen gewesen sei, dass die Beschwerdeführerin eine Heilbehandlung ohne Zwang vornehmen lassen würde, wäre die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig gewesen, wenn die Voraussetzungen für eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Sinne des § 1906 a Abs. 1 BGB vorgelegen hätten und diese nach § 1906 a Abs. 2 BGB rechtswirksam genehmigt worden wäre. Eine Behandlung der Beschwerdeführerin, welche nach der Begründung des Landgerichts die Dringlichkeit im Sinne des § 331 FamFG auslösen solle, habe aber während der gesamten ersten Unterbringungszeit nicht erfolgen können, da die Voraussetzungen hierfür, z. B. durch Einholung eines Gutachtens, noch gar nicht geschaffen worden waren.
Bezüglich des nach § 331 FamFG erforderlichen Bedürfnisses für ein sofortiges Tätigwerden als Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass es insoweit es an der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung und an tatsächlichen Feststellungen hierzu sowie an der auf Grundlage dieser Feststellungen vorzunehmenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit der sofortigen Unterbringung durch die Fachgerichte fehle. Wahnhafte Gedanken und Beschwerden einer Wohnungseigentümergemeinschaft allein könnten eine vorläufige Unterbringung nicht rechtfertigen. Gleiches gelte für die Verweigerung der Anhörung und Begutachtung. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin schon längere Zeit nicht mehr ärztlich behandelt worden sei, spreche gerade nicht für die Notwendigkeit einer sofortigen Unterbringung. Die Gefahr einer nicht mehr behandelbaren Chronifizierung der Erkrankung sowie eine Behandlungsem-pfehlung, möge diese auch dringlich sein, rechtfertigten eine sofortige Unterbringung ebenfalls nicht. Dass die Beschwerdeführerin seit etwa vier Jahren ihre Medikamente nicht mehr eingenommen habe, spreche, anders als vom Landgericht angenommen, eher gegen ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden.
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In dem Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. August 2020 – 2BvR1692/19 befasst sich das Bundesverfassungsgericht noch einmal mit Entscheidungen von unteren Gerichten, die im Eilverfahren durchgewunken wurden. Das höchste Gericht, dessen Entscheidungen für die unteren Gerichte verbindlich sind, hat diesen „standrechtlichen“ Verfahren eine Ohrfeige verpasst. Es hat diese Entscheidungen ausdrücklich auch noch im Nachhinein getroffen, auch wenn die psychiatrische Einsperrung schon abgelaufen war. Auf solche BVerfG Entscheidungen immer hinweisen, wenn wieder mal alles ruck-zuck abgeurteilt worden sein sollte.
Daraus ist zu lernen: Mit einem/r guten AnwaltIn über´s Landgericht notfalls zum BGH weiter klagen, bis mit dieser Praxis der Betreuungsgerichte endlich Schluss ist. Dann können im Erfolgsfall auch mit Schadensersatzansprüchen die Beteiligten in Regress genommen werden.
Eine ganze Reihe von wichtigen Entscheidungen des BVerfG sind über dieses Link einfach zu finden: https://www.zwangspsychiatrie.de/?s=BVerfG&searchsubmit=Suchen