Stellungnahme zum 2. Referentenentwurf des BMJV für eine Novellierung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.

Geschäftsstelle
10823 Berlin

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die-bpe@gmx.de
www.die-bpe.de

Offene Antwort

Sehr geehrter Herr Dr. Meyer,
Sehr geehrter Herr Dr. Wichard,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Am 07.09.2018 um 07:42 schrieb IA1@bmjv.bund.de:

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
– Referat I A 1 –
11015 Berlin

Fachkreise und Verbände

Sehr geehrte Damen und Herren
in der Anlage übersende ich Ihnen Schreiben vom 6. September 2018 mit Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschaftsrechtes als 2. Diskussionsteilentwurf mit der Bitte um Kenntnis- und Stellungnahme bis zum 30. November 2018.

Wir antworten in offener Form, denn Sie hatten in Ihrem Anschreiben angekündigt, dass die Stellungnahme vom BMJV sowieso veröffentlicht würde. Wir beschäftigen uns im Folgenden nur mit dem für uns wesentlichen Teil des Entwurfs zum irreführend „Betreuungsrecht“ genannten Vormundschaftsrecht für Erwachsene.

Kurz zusammengefasst:
Der Entwurf ist ein leicht zu durchschauendes Täuschungsmanöver, um alles so zu lassen, wie es nach dem Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention (BRK) eben gerade NICHT mehr bleiben darf.

Beweis:

Seite 24 des Entwurfs:
§ 1814 (1896 BGB) Voraussetzungen
(2) Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden.

Seite 170 und folgende:
§ 1814 – E übernimmt § 1896 BGB mit einigen redaktionellen Änderungen.
Zu Absatz 1:
Absatz 1 entspricht § 1896 Absatz 1 BGB.
Zu Absatz 2:
Absatz 2 entspricht § 1896 Absatz 1a BGB.
Zu den Absätzen 3, 4 und 5:
§ 1896 Absätze 2, 3 und 4 BGB sind unverändert übernommen worden. In Absatz 3 ist die
Verweisung auf § 1897 Absatz 3 BGB (jetzt § 1816 Absatz 3 BGB – E) aktualisiert.

Zu § 1820 BGB – E Schriftliche Betreuungswünsche, Vorsorgevollmacht
§ 1820 BGB – E entspricht § 1901c BGB.

Zu § 1828 BGB – E Patientenverfügung:
§ 1828 BGB – E entspricht § 1901a BGB.

Zu § 1829 – E Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens:
§ 1829 BGB – E entspricht § 1901b BGB.

Zu § 1830 – E Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen:
§ 1830 BGB – E entspricht § 1904 BGB.

Zu § 1832 BGB – E Genehmigung des Betreuungsgerichts bei freiheitsentziehender
Unterbringung und bei freiheitsentziehenden Maßnahmen:
§ 1832 BGB – E entspricht § 1906 BGB.

Zu § 1833 BGB – E Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen:
§ 1833 BGB – E entspricht § 1906a BGB.

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Das ist der Beweis, dass die angebliche „Novellierung“ nur ein Etikettenschwindel ist !
Es wird mit dem Entwurf die alte Gesetzgebung, die mit der BRK unvereinbar ist, einfach dadurch in eine „neue“ umgewandelt, indem alles zwar beim Alten gelassen wird, nur die Nummerierung der Paragrafen in einem „neuen“ Gesetz geändert wird.
Damit täuscht das BMJV eine „Neuerung“ vor, damit dann alles für weitere Jahrzehnte so bleiben kann, wie es seit Alters her war. Das ist noch „billiger“, als es 1992 der begriffliche Austausch von „Vormund“ zu „Betreuer“ war, denn wie seit über hundert Jahren konnte und kann erwachsenen Bürgern der Vormund – nun irreführend „Betreuer“ genannt – vom Gericht gegen den erklärten Willen [juristisch auch „natürlicher“ Wille genannt] aufgezwungen werden.
Es ist eine Täuschung, um nicht zu sagen ein Betrug, ums Ganze. Denn Kern der BRK ist, dass eine ersetzenden Entscheidungsfindung verboten ist und durch eine unterstützende Entscheidungsfindung ersetzt werden muss. Dieses Täuschungsmanöver des BMJV schließt sich bündig an den Betrug an, der bei der Ratifizierung der BRK 2008/2009 abgezogen wurde. Die Chronik dieses Betrugs ist hier in allen Details dokumentiert.

Mit diesem billigsten aller Taschenspielertricks versucht sich nun das BMJV der Verpflichtung zu entziehen, dass § 1896 Abs. 1a BGB novelliert werden muss: Der Satz: “Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden” muss endlich durch diesen Gesetzestext ersetzt werden:
Gegen den erklärten [oder natürlichen] Willen des Volljährigen darf eine Betreuung weder eingerichtet noch aufrechterhalten werden.

Dieser Etikettenschwindel wurde allerdings schon im Koalitionsvertrag der GroKo auf Seite 134 vereinbart:

Betreuungsrecht und Selbstbestimmung
Wir werden das Vormundschaftsrecht modernisieren und das Betreuungsrecht unter Berücksichtigung der Ergebnisse der jüngst durchgeführten Forschungsvorhaben in struktureller Hinsicht verbessern. Im Einzelnen wollen wir den Vorrang sozialrechtlicher Hilfen vor rechtlicher Betreuung, die Qualität der Betreuung sowie Auswahl und Kontrolle von Betreuerinnen und Betreuern, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen („Unterstützen vor Vertreten“), sowie die Finanzierung der unverzichtbaren Arbeit der Betreuungsvereine in Zusammenarbeit mit den Ländern stärken. …

Also soll die stellvertretende Entscheidungsfindung – Vertreten – weiter bestehen bleiben: Es soll bei „Unterstützen vor Vertreten“ bleiben. Die BRK schreibt hingegen vor: „Unterstützen anstatt Vertreten“. Zum Glück hat die Justizministerkonferenz (JuMiKo) inzwischen den in dem GroKo-Vertrag erwähnten Abschlussbericht des Forschungsvorhaben in ihrem Beschluss vom 6./7.6.2018 der Betreuergefälligkeit überführt:

Nur 101 von ca. 13.100 Betreuern waren bereit, Einblick in ihre Verdienstsituation zu geben, das sind noch nicht einmal 0,8 %.

Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die durch die Verbände der Berufsbetreuer seit Jahren geäußerte Kritik über ein angeblich zu geringes Einkommen. Die Verbände der Berufsbetreuer und die ihnen nach dem Mund schreibende Leiterin der Untersuchung, Frau Prof. Brosey, stehen so gut wie alleine da. Und die JuMiKo weist darauf hin:

„Es bestehen grundsätzliche Bedenken, Parameter einer Vergütungsbestimmung ausschließlich durch eine Einschätzung der Vergütungsempfänger zu ermitteln.“

Betreuer sind eben die Selbstbedienung gewohnt. Ehrlich, dass es in diesem Abschlussbericht auch so vorgestellt wird.

Fazit:
Die erste und notwendige Voraussetzung zu einer menschenrechtskonformen Betreuungsgesetzgebung ist, dass endlich § 1896 Abs. 1a BGB novelliert wird: Der Satz: “Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden” muss durch diesen Gesetzestext ersetzt werden:
Gegen den erklärten [oder natürlichen] Willen des Volljährigen darf eine Betreuung weder eingerichtet noch aufrechterhalten werden.
Nur so kann Deutschland dem in Artikel 46 des jährlichen Berichts des Hochkommissariats für Menschenrechte der vereinten Nationen und dessen Sekretariats vom 24. Juli 2018 zur Vorbereitung der Tagungsordnungspunkte 2 und 3 der 39. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats zu: Mental Health and Human Rights Vorgeschlagenen gerecht werden [Übersetzung und fett von uns]:

Die Staaten sollten sicherstellen, dass alle Gesundheitssorge und entsprechende Dienste, einschließlich aller psychischen Gesundheitssorge und entsprechende Dienste, auf der freien und informierten Zustimmung der betroffenen Person beruhen. Gesetzliche Bestimmungen und Richtlinien sollten abgeschafft werden, die durch den Einsatz von Zwang und Zwangsmaßnahmen, einschließlich Zwangseinweisung und zwangsweise Heimunterbringung, Fixierung, Psychochirurgie, Zwangsbehandlung und andere Zwangsmaßnahmen, darauf abzielen, eine tatsächliche oder angenommene Beeinträchtigung zu korrigieren oder zu beheben, einschließlich der Ermöglichung der Einwilligung oder Ermächtigung durch Dritte. Die Staaten sollten diese Praktiken neu konzeptionalisieren und als Folter oder andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung und als Diskriminierung von Nutzern von psychischen Gesundheitsdiensten, Menschen mit psychischen Problemen und Menschen mit psychosozialen Behinderungen anerkennen.

Mit freundlichen Grüßen
René Talbot und Uwe Pankow
(im Auftrag der Mitgliederversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener vom 2.10.2018)
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Diese Stellungnahme wird inzwischen auch von der Irren-Offensive und dem Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg unterstützt.