Wahlprüfsteine für die Landtagswahl in Niedersachsen

Wahlprüfsteine der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener
für die Landtagswahl am 15.10.2017 in Niedersachsen

Die Fragen unten hat die-BPE der CDU, SPD, FDP, DIE LINKE und Grüne jeweils mit der Bitte um Antwort als Wahlprüfsteine und mit einem Hinweis auf die anschließende Veröffentlichung gestellt. Die Ergebnisse der Umfrage:

  • Die SPD hat die Fragen völlig ignoriert und nicht geantwortet. Wir raten von deren Wahl ab.
  • Die CDU hat zwar geantwortet, aber ihre hier dokumentierten Antworten sind völlig enttäuschend. Sie offenbart sich damit – wie in Berlin – als eine Partei der Foltergesetzmacher, wie immer als angeblich „Ultima ratio“. Besonders erschreckend ist, dass die CDU bei der Zwangsbehandlung die Menschenrechte, ausbuchstabiert in der Behindertenrechtskonvention (BRK), völlig unbeachtet lässt. Sie überlässt folterartige Zwangsbehandlung damit dem Filz von Ärzten, Richtern und Betreuern und ignoriert völlig die Stellungnahme von Papst Franziskus, der diese als Folter bezeichnet hat, siehe hier.
    Wir können nur von deren Wahl abraten.
  • Auch DIE LINKE ignoriert mit ihren hier dokumentierten Antworten die Feststellungen des UN-Komitees für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und negiert damit auch den Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter. Sie macht damit auf Landesebene leider sogar das Bundeswahlprogramm der eigenen Partei unglaubwürdig, in dem die gewaltfreie Psychiatrie auf Seite 32:
    Wir wollen eine gewaltfreie Psychiatrie und die Abschaffung von Sondergesetzen.
    und auf Seite 118:
    Wir setzen uns dafür ein, dass alle rechtlichen Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen aufgehoben werden, insbesondere psychiatrische Sondergesetze und ärztliche oder betreuungsrechtliche Zwangsbefugnisse.
    versprochen wurde. Aus dem flauen Wischi-Waschi der Partei DIE LINKE eine Schlussfolgerung zu ziehen bzw. eine Wahlentscheidung zu treffen, möchten wir den Leserinnen und Lesern überlassen.
  • Die Antwort der Grünen ist hier dokumentiert. Zwar behaupten die Grünen, sich konsequent gegen die Folter, also gegen Zwangsbehandlung und für eine menschenrechtskonforme Psychiatrie einzusetzen. Sie scheuen aber, sich der Sichtweise des UN-Berichterstatters über Folter und dem UN-Fachausschuss für die Rechte von Behinderten konsequent anzuschließen, da psychiatrische Zwangsbehandlung Folter ist. Sie haben im Niedersächsischen Landtag für das novellierte PsychKG gestimmt. Sie weichen aus, weil angeblich Zwangsbehandlung, Zitat: „Demnach sind diese nur noch unter eng gefassten Bedingungen in Einzelfällen möglich“ sei. Das macht die Grünen unglaubwürdig. Entweder kennen sie die abschließenden Bemerkungen zum Staatenbericht nicht, aber zu vermuten ist eher, das sie diese nicht zur Kenntnis nehmen wollen, obwohl in der Frage explizit darauf hingewiesen wurde. Sie versuchen uns mit diesem völlig unzureichendem Versprechen abzuspeisen, Zitat: „Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode für eine neuerliche umfassende Novelle des NPsychKG einsetzen, die der UN-BRK vollumfänglich gerecht wird, Grundrechtseingriffe weitgehend vermeidet ..“
    Aus dem flauen Wischi-Waschi der Grünen eine Schlussfolgerung zu ziehen bzw. eine Wahlentscheidung zu treffen, möchten wir den Leserinnen und Lesern überlassen.
  • Die FDP hat geantwortet, auch versichert, dass sie die Folterfreiheit achten würde, aber in ihrer weiteren hier dokumentierten Antworten widerspricht sie dem, wenn es auf die Psychiatrie angewendet wird. Sie redet sich mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) heraus, dabei kann auch das BVerfG keine Foltermaßnahmen legalisieren, denn es würde gegen Jus cogens verstoßen. Das haben wir dem BVerfG hier genau bewiesen. Aus diesem Hin und Her der FDP eine Schlussfolgerung zu ziehen bzw. eine Wahlentscheidung zu treffen, möchten wir den Leserinnen und Lesern überlassen.

Wegen der erwähnten Vorbehalte können wir bei dieser Landtagswahl KEINE Wahlempfehlung geben.

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Die Fragen von die-BPE:

Vorbemerkung:
Im Schatten der Bundestagswahl, hat der Niedersächsische Landtag am 20. September 2017 einstimmig die Novellierung des Niedersächsischen Psychisch-Kranken-Gesetzes (NPsychKG) beschlossen. Im Zuge dessen wurde neuerlich menschenrechtswidrige Maßnahmen zur Freiheitsentziehung und Zwangsbehandlung im Gesetz verankert und ausgeweitet. Menschenrechtliche Fragen und entsprechend kritische Einlassungen verschiedener UN-Stellen wurden im gesamten Legislativprozess nachhaltig ignoriert. Unsere Fragen dazu sind:

A)
Die Prüfung des deutschen Staatenberichts zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UNBRK) hat 2015 bestätigt, dass psychiatrische Zwangsmaßnahmen eine Foltermaßnahme im Sinne der UNBRK sind. Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen fordert als zuständige Autorität eine Abschaffung aller psychiatrischer Gewaltmaßnahmen.

Mit welchen konkreten parlamentarischen Initiativen (Anträgen, Entwürfen, Anfragen usw.) hat sich Ihre Partei für die Durchsetzung des Folterverbots in Niedersachsen eingesetzt?

B)
Weiterhin fordert der UN-Fachausschuss in seinen Allgemeinen Bemerkungen Nr. 1 zur Gleichen Anerkennung vor dem Recht nach Art. 12: „Die Vertragsstaaten müssen Verfahren und gesetzliche Bestimmungen abschaffen, die eine Zwangsbehandlung oder entsprechende Rechtsverstöße legitimieren.“ Dennoch sind mit der jüngsten Novellierung Zwangsbehandlungen und andere Maßnahmen der Psychiatriegewalt erneut legitimiert worden.

Mit welchen konkreten parlamentarischen Initiativen (Anträgen, Entwürfen, Anfragen usw.) hat sich Ihre Partei gegen die Verabschiedung bzw. Novellierung eines neuen NPsychKGs, als gesetzliches Bestimmungswerk zur Legitimierung von Zwangsbehandlung und entsprechenden Völkerrechtsverstößen, eingesetzt

C)
Um die Niedersächsische Gesetzgebung im Sinne dieser Auflage menschenrechtskonform und frei von rechtlicher Ungleichbehandlung und Diskriminierung zu gestalten, wäre folglich eine Tilgung aller Gewaltelemente aus dem Gesetzestext oder des gesamten Gesetzes erforderlich.

Mit welchen parlamentarischen Initiativen wird Ihre Partei sich in der kommenden Legislaturperiode für eine entsprechende Abschaffung oder Änderung des NPsychKGs einsetzen, um die vollständige rechtliche Gleichwertigkeit und Gleichstellung von Betroffenen zu erreichen?

D) (Diese Frage wurde der Partei DIE LINKE nicht gestellt, weil sie nicht im Landtag vertreten war)
Alle Vertreter und Interessenverbände von Psychiatrie-Erfahrenen (Initiative Zwangbefreit, Landesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener Niedersachsen) haben sich im Vorfeld mehrfach ablehnend gegenüber dem Gesetz und gegen seine Elemente der Unterdrückung, Verfolgung und Gewalt gegen Psychiatrie-Erfahrene ausgesprochen.

Dennoch behauptet ihrer Partei (u.a. in der abschließenden Plenardebatte), das Gesetzt wäre im Interesse der Betroffenen und würde zu einer Rechtssicherheit im Sinne dieser beitragen. Wieso verklärt ihre Partei die Interessen der Betroffenen in derart zynischer Weise?