Die Große Koalition: unchristlich!

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.

Offener Brief an die Mitglieder der Bundestagsausschüsse Recht, Gesundheit und Familie
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Donnerstag, 20. April 2017

Sehr geehrte/r Abgeordnete/r,

Zwei aktuelle Vorgänge brennen uns auf den Nägeln:

A) am 26. April ist um 19 Uhr im federführenden Rechtsausschuss eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten.

Es ist der Entwurf eines illegalen Gesetzes, in dem das völker- und menschenrechtlich absolute Verbot der Folter, Jus Cogens, wie nichtexistent ignoriert wird. In der Anlage der Beweis, warum „Nichteinwilligungsfähigkeit“ kein Vorwand für eine Gesetzgebung entgegen diesem absoluten Verbot sein kann. Wenn Sie ihn missachten sollten, würde mit egal wie vielen einschränkenden Bedingungen versucht, illegale Folterung (bzw. cruel, inhuman, degrading treatment) zu legalisieren, also ein Verbrechen staatlich zu schützen. Nicht nur der beiliegende Beweis lässt keinen Spielraum für so ein Gesetz, sondern Sie können das auch in dem Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Juan E. Méndez, nachlesen, den dieser in der 22. Sitzung des „Human Rights Council“ am 4. März 2013 vorgetragen hat, siehe die Quellen hier: www.folter-abschaffen.de

Weitere Dokumente zur Bestätigung dieser Tatsache:

Wie bösartig muss also eine große Koalition sein, die sich aber selbst noch auf ihren letzten Metern einig ist, die Entwürdigten, Beleidigten und Missachteten, die so ziemlich Schwächsten in der Gesellschaft, die mit dem Wort „Betreuung“ in die Irre geführten Entmündigten, mit ihrem Gesetzgebungshammer zu einem Stück Fleisch zu machen, denen kein wirksamer Wille mehr zugebilligt wird, über ihren eigenen Körper zu verfügen?

Die GroKo ist damit nicht nur unsäglich brutal, sondern auch unchristlich. Denn sie will an der schärfsten Strafe festhalten, wenn in einem Staat die Todesstrafe abgeschafft ist, der in psychiatrischer Zwangsbehandlung erzwungenen Duldung von Körperverletzung, in der Papst Franziskus ebenfalls Folter erkannt hat. Zitat aus seiner bemerkenswerten Ansprache an eine Delegation der internationalen Strafrechtsgesellschaft (AIDP) am 23.10.2014, siehe hier ca. in der Mitte:

Die Folter wird nicht mehr nur als Mittel angewandt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie ein Geständnis oder die Denunziation – Praktiken, die für die Doktrin der nationalen Sicherheit kennzeichnend sind –, sondern sie stellen einen echten zusätzlichen Schmerz dar, der zu den Übeln, die die Inhaftierung mit sich bringt, noch hinzukommt. Auf diese Weise wird nicht nur in geheimen Internierungs- oder modernen Konzentrationslagern gefoltert, sondern auch in Gefängnissen, Jugendstrafanstalten, psychiatrischen Kliniken, Kommissariaten und anderen Strafanstalten. [fett von uns]

Papst Franziskus macht dabei keine hinterlistige Unterscheidung in psychiatrische Folter angeblich nur in „Schurkenstaaten“, sondern spricht unterschiedslos über die ganze Welt.
Er spricht in seiner Rede von dem Primat des Prinzips »pro homine«, also der Verletzung der Würde, die durch diese Zwangsmaßnahmen den Übeln hinzugefügt wird, die die Inhaftierung mit sich bringt. Papst Franziskus anerkennt im Gegensatz zur GroKo, dass die Menschenrechte nie in solche geteilt werden können, die nur für „Gesunde“ gelten, aber nicht mehr für vermeintlich oder tatsächlich „Geisteskranke“, Entmündigte, die fälschlich als „Betreute“ bezeichnet werden! Die psychiatrischen Folter-Verbrechen werden an Menschen begangen, egal ob für gesund oder krank erklärt und egal wie wohlmeinend Ärzte und Richter sich dabei wähnen mögen. Deshalb ordnet der Papst die psychiatrischen Kliniken zu Recht bei den Strafanstalten ein.

Wir wissen, warum die GroKo dieses Gesetzgebungsvorhaben meint als „besonders eilbedürftig“ schnell noch durchs Parlament jagen zu müssen. Angeblich verlange das das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Das ist aber eine falsche Ausrede, weil der 1. Senats des BVerfG in seinem Beschluss vom 26.7.2016 – 1 BvL 8/15 gerade KEINE Frist für eine Gesetzgebung gesetzt hat, sondern eine angebliche „Lücke“ konstatiert hat, für die das BVerfG eine von keiner expliziten gesetzlichen Regelung gedeckte Rechtsprechung höchstrichterlich autorisiert hat. OHNE neue gesetzliche Regelung können also RichterInnen für die vermeintlichen „Ungleichbehandlungs“-Fälle, die Anlass für den BVerfG-Beschluss waren, Beschlüsse fassen:
Seit diesem Beschluss kann also z.B. ein Krebs wie bei der 63 Jährigen, um die es Anfangs ging, gegen deren Willen mit einer Brustamputation, Brustbestrahlung und Knochenmarks-punktion zur weiteren Diagnostik behandelt werden!
Das wird bestimmt nicht nur auf einer offenen psychiatrischen Station in einem Krankenhaus, sondern soll entsprechend dem neuen Gesetz noch in diesem Jahr bei jedem stationären Aufenthalt in irgendeiner Station irgendeines Krankenhauses mit gesetzlich geregeltem und gerichtlich genehmigtem Zwang geschehen können.  Man soll dann z.B. an allen 4 Extremitäten gefesselt, auf eine Trage geschnallt in einen Operationssaal überführt werden können, wird dort – gegen den Willen – narkotisiert und wacht verstümmelt, z.B. mit abgeschnittener Brust, auf. Zur weiteren Diagnostik wird mit Zwang eine Knochenmarkspunktion durchgeführt und die Brust zusätzlich zwangsweise bestrahlt werden können.
Ein Mensch soll zu einem Stück Fleisch entwürdigt werden, dessen geäußertes „Nein“ völlig ignoriert werden kann.

Wenn Sie trotz der vielen vorgebrachten Argumente und wider die zwingende Logik eines Beweises immer noch regelungswütig davon überzeugt sein sollten, ein Gesetz sei jetzt zu verabschieden, dann müssten Sie als ersten Schritt bei den Gerichten nachfragen, wie viele Zwangsbehandlungen denn nach dieser vom BVerfG geschaffenen Nothilfe-„Lücke“ überhaupt beschlossen wurden. Wir wetten, es sind weniger als an einer Hand abzählbare Fälle gewesen. Wenn Sie ohne diese Nachfrage diesem Gesetzgebungsvorhaben zustimmen sollten, werden Sie kenntlich machen, dass diese angebliche „Lücke“ nur der Vorwand ist, um mit gesetzgeberischem Rigorismus Zwangsbehandlungen freigeben zu können und den menschenrechtlichen Dammbruch von 2013 – den BGB § 1906 a – nun so zu verbreitern, dass Zwangsbehandlung in allen Stationen aller Krankenhäuser möglich werde – ärztliche „Vernunft“ soll zur herrschenden Regel werden. Dr. Matthias Thöns, der stellv. Landessprecher der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin in NRW, wies in einer Veranstaltung der Urania am 24.1.2017 „Das Geschäft mit dem Lebensende“ darauf hin, dass Ärzte bereit sind, skrupellos zu handeln, wenn sie damit Umsatz machen können. Zwar soll die Zwangsbehandlung nur bei Entmündigten (die nur zur Irreführung „Betreute“ genannt werden) durchgeführt werden, aber wir wissen, dass in Null Komma Nix ein gutachtender Psychiater am Krankenbett steht und Sekunden danach der Richter den Berufsbetreuer bestellt hat, damit der den von Ärzten erwünschten Zwangsmethoden zustimmt und der Richter die Folter dann angeblich „rechtstaatlich“ einsegnen kann (Ärztlichen Heilsversprechen sich zu widersetzen ist genauso „schizophren“, wie wenn damals im Ostblock jemand nicht an die Segnungen des Sozialismus glauben wollte – alles war „pathologisch“ und wurde für zwangsheilungsbedürftig erklärt).

Entsprechend hat das Mitglieds des Deutschen Ethikrats von der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte MEZIS e.V. „Mein Essen zahl ich selbst“, Dr. med. Christiane Fischer, verlautbart: „Das Gesetz würde […] mehr Zwangsbehandlungen ermöglichen. Ich finde das hoch problematisch.“

Weitere gute Gründe, die gegen Zwangsbehandlung und gegen den Beschluss des BVerfG sprechen, sind hier veröffentlicht:
www.die-bpe.de/bpe_stellungnahme_addae_mensah.htm
www.zwangspsychiatrie.de/2015/10/stellungnahme-ans-bundesverfassungsgericht
www.zwangspsychiatrie.de/2015/10/offener-brief-ans-bverfg
www.zwangspsychiatrie.de/2015/11/zweiter-offener-brief-ans-bundesverfassungsgericht

B) Vorbereitung eines Betrugs im Quadrat
Die Bundesregierung hat in betrügerischer Absicht an einer entscheidenden Stelle ein „allein“ in die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) hinein gelogen (ausführlich hier dokumentiert).

Nun wird vom BMJV der Betrug im Quadrat vorbereitet, um die BRK vollends zu beugen bzw. als Makulatur zu entsorgen! Dazu wurde vom BMJV, finanziert durch Steuergelder, eine angebliche „Expertise“ zur „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ bei Gefälligkeitsgutachtern in Auftrag gegeben. Diese haben am 27.4.2016 bereits in ihrem 1. Zwischenbericht die wesentlichen Markierungspunkte für den Betrug² im Sinne des BMJV aufgezeigt. Richtig wird darin auf Seite 16 zitiert:

Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen , hat in den „Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands“ empfohlen, „alle Formen der ersetzenden Entscheidung abzuschaffen und ein System der unterstützten Entscheidung an ihre Stelle treten zu lassen“ (Nr. 26 a)

um dann fortzufahren:

Die Bundesregierung hat in der Denkschrift zur UN-BRK (BT-Drs. 16/10808) und in dem Staatenbericht vom 3. August 2011 jedoch dargelegt, dass die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland den Vorgaben der UN-BRK entspricht.

Eine böse und infame Lüge, die 2015 vom dem im BMJV zuständigen Herrn Lütters in Genf dem UN-Fachausschuss vorgetragen wurde. Der Videobeweis dieser Lüge ist hier veröffentlicht.

Das BMJV bereitet damit die Lüge² vor, dass die Aussagen des UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen völlig belanglos wären.

Die BRK wurde demnach nur unterzeichnet, um vortäuschen zu können, Menschenrechte für Menschen mit Behinderung hätten in der BRD eine Bedeutung. Tatsächlich wurde sie nur aus dem Grund ratifiziert, damit man sie dann missachten kann. Die völkerrechtliche Anerkennung durch die Ratifizierung der BRD, dass der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen maßgeblich für die Interpretation der BRK ist, und seine Aussagen verbindlich sind, wird einfach geleugnet. Mit dieser Prämisse wird die Gefälligkeits-“Expertise“ zur „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ wunschgemäß den Zirkelschluss bestätigen, dass das
Entmündigungsrecht in der BRD so verbleiben und die darin wider die BRK ausgeübten Maßnahmen zum Brechen des Willens durch Zwangsmaßnahmen angeblich durch „Qualifizierung“ – sprich Professionalisierung – der Betreuung einfach zum Verschwinden gebracht werden könne.

Wir bitten Sie, diese Gefälligkeitsstudie zur „Qualität in der rechtlichen Betreuung“, die im August vorgestellt werden soll, sofort im Papierkorb zu entsorgen.
Wenn Sie nicht auf diesen Betrug² des BMJV hereinfallen wollen, dann lesen Sie stattdessen bitte, was Prof. Rohrmann in der anliegenden Stellungnahme: Bevormundung – Zwangsunterbringung – Folter ausgeführt hat.

Auch wenn Regierungsvertreter in Deutschland sich gerne anmaßen, die BRK nach ihren paternalistischen Vorstellungen beliebig beugen zu können, die maßgebliche Stelle zur Auslegung der BRK ist der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. In der beigefügten Anlage hat Prof. Eckhard Rohrmann dessen Abschließenden Bemerkungen zum ersten Staatenbericht der Bundesrepublik in Hinsicht auf den zentralen Art. 12 der BRK untersucht und erläutert, was sie für die Situation hier bedeuten:  Der UN-Fachausschuss bestätigte alle unseren Forderungen.
Prof. Rohrmann ist seit über 20 Jahren Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusion und Exklusion in Bildung, Erziehung und sozialer Arbeit an der Uni Marburg.

Wir schreiben Ihnen in einem offenen Brief, weil wir keine Rechtfertigungen mehr von ihnen erwarten, sondern nur noch das angemahnte Unterlassen der neuen Gesetzgebung bzw. das Entsorgen dieser Studie. Sie haben entschieden, Organisationen der Betroffenen entgegen dem BRK-Dogma „Nichts ohne uns über uns“ nicht anzuhören, also bleibt uns nur, Sie und die Öffentlichkeit schriftlich zu informieren.

Hochachtungsvoll

Beschluss der Mitgliederversammlung vom 18.4.2017: i.A.  gez. René Talbot   und gez.  Uwe Pankow

Anlagen:


Auch der BPE hat sich in einer Stellungnahme am 3.4.2017 eindeutig gegen den Entwurf gestellt:
Stopp dem Gesetz über Ausweitung ärztlichen Zwangsmaßnahmen § 1906a BGB, siehe hier