Weiterer Gesetzgebungsüberfall von Bundesrat und Bundesregierung im Betreuungsrecht
Gestern hat die Bundesregierung auf Initiative von Bundesjustizminister Maas einen Änderungsantrag zu einem Gesetzentwurf verabschiedet, der vom Bundesrat schon am 14.10. (als Top 13) beschlossen wurde. Er wird jetzt – von der Öffentlichkeit wieder völlig unbeachtet – im Bundestag behandelt werden und soll noch vor Ende der Legislatur Gesetz geworden sein, die GroKo ist sich da wohl einig.
Dabei geht es um eine fundamentale Verschiebung in der Beziehung von Eheleuten (und in eingetragene Lebenspartnerschaften). Bisher war immer noch jede/r EigentümerIn des eigenen Körpers. Wenn der/die eine Ehepartner über den/die andere/n (rechtlich) verfügen wollte, musste er/sie dafür eine Vollmacht bekommen haben. Das soll jetzt umgedreht werden: automatisch kann über den/die andere verfügt werden, wenn nicht z.B. durch eine PatVerfü dem von vornherein ein Riegel vorgeschoben wurde. Oder der Staat einen gerichtlich bestellen Betreuer installiert hat (der wiederum mit einer rechtzeitig, möglichst notariell beurkundeten PatVerfü, hätte verhindert werden können).
Es geht den Regierenden offensichtlich darum, das neue Foltergesetz auch von Seite der „Betreuung“ genannten Entmündigung leichtgängig zu machen: Automatisch soll jede/r Verheiratete dem anderen der Vormund in Gesundheits- und Psychiatrisierungsfragen sein. Und dann geht mit gerichtlichem Rückenwind auch eine Behandlung ganz schnell und einfach mit Zwang.
Das läuft auf den bekannten Showdown hinaus: wer zuerst zur Zwangspsychiatrisierung greift, ist am Drücker. Wir erinnern uns gut an das Ehepaar Mollath und an Eberhart Herrmann.
Also wieder ein dringendes Argument mehr, eine PatVerfü zu haben.
Das überraschende ist – diese sog. „gesetzliche Vertretungsmacht des Ehegatten“ im höchstpersönlichen Bereich, also in Gesundheitsfragen bzw. der Bereitschaft, Körperverletzung zu dulden, war 2003 schon mal vom Bundesrat beschlossen worden. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat zum Glück schließlich im all parteilichen Einvernehmen den Vorstoß im Entwurf des 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes gestoppt. Das ist hier in der Bundestagsdrucksache 15/4874 nachzulesen. Wer es genauer wissen will: Der Bundesgerichtshof hat eine vollständige Dokumentation des gesamten Gesetzgebungsprozesses als Übersicht mit allen Dokumenten als Link hier veröffentlicht.
Zur weiteren Erklärung, wie das damals lief, siehe den vollständigen Text von Horst Deinert, wir zitieren daraus:
…Mit einer Gesetzesinitiative, die der Bundesrat am 19.12.2003 gestartet hatte, sollten sowohl Betreuerbestellungen als auch Vorsorgevollmachten überflüssig gemacht werden. Das vermeintliche Ei des Kolumbus hies „gesetzliche Vertretungsmacht“ des Ehegatten. Bisher und bis heute ist es innerhalb der Ehe juristisch so, dass jeder nur für sich selbst entscheidungsbefugt ist. Ohne ausdrückliche Vollmacht darf ein Ehegatte für den anderen nur Kaufverträge zur Deckung des laufenden Lebensbedarfs tätigen. „Schlüsselgewalt“ nennt man diese Vertretungsbefugnis.
Auch bei Arztbehandlungen ist nach derzeitigem Recht der Ehegatte nicht für den Anderen entscheidungsbefugt, wenn er keine ausdrückliche Vollmacht besitzt, die allerdings auch mündlich formuliert sein darf. Vielen Ärzten ist dieses offenbar unbekannt, da in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten war, dass die Diagnose vor allem bei lebensbedrohender Erkrankung nur den Angehörigen mitgeteilt und deren Einverständnis zur (meist symptomatischen) Behandlung eingeholt wurde. Das widersprach seit jeher der Gesetzeslage, wurde aber allgemein akzeptiert. In den letzten Jahren jedoch ist gerade angesichts zahlreicher Strafprozesse wegen fehlender Einwilligung zur Arztbehandlung, die dann als Körperverletzung gilt, eine Sensibilität in der Ärzteschaft entstanden, nicht mehr auf diese eher „informelle“ Weise zu behandeln.
In dieser Situation wurde [und wird jetzt wieder!] mit dem Gesetzesvorschlag, der damals als „Zweites Betreuungsrechtsänderungsgesetz“ betitelt wurde, eine Kehrtwende im Verständnis des Selbstbestimmungsrechtes vorgenommen. Denn nun sollte genau das ins Gesetz aufgenommen werden, was früher oft missverständlich angenommen wurde. …
…Bei der beabsichtigten Vertretungsmacht fehlt es an beiden: an der unabhängigen Kontrolle und an dem Willen des Vertretenen. ..
… Nahezu alle Experten haben bei einer Anhörung vor dem NRW-Justizministerium im August 2003 diese Form der „Ersatz-Betreuung“ abgelehnt. Die Justizminister und der Bundesrat haben diese Befürchtungen abgetan, die Aussicht auf weniger staatlich alimentierte Betreuer war wohl zu verlockend.
Die Bundestagsabgeordneten im Rechtsausschuss waren diejenigen, die vielleicht selbst eine künftige Fremdbestimmung befürchteten und den Versuch damals scheitern ließen. Und dieses Mal?