Zur Verabschiedung des neuen Berliner PsychKG
Gemeinsame Presseerklärung von
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg e.V.
Irren-Offensive e.V.
zur Verabschiedung des neuen Berliner PsychKG
Heute wurde im Berliner Abgeordnetenhaus das sogenannte „Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten“ (PsychKG) mit den Stimmen der Großen Koalition verabschiedet.
Dazu erklären wir:
Wir verurteilen die Verabschiedung des neuen Gesetzes als eine systematische Menschenrechtsverletzung per Gesetz in der Psychiatrie. Mit dem vorliegenden Landesgesetz sollen psychiatrische Zwangsbehandlungen, etwa mit Psychopharmaka oder Elektroschocks, in Berlin legalisiert werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht diese 2011 verboten hatte. Sowohl der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen als auch der UN-Sonderberichterstatter über Folter haben 2015 und 2013 psychiatrische Zwangsbehandlung unmissverständlich als Folter klassifiziert und damit als Verletzung menschenrechtlicher Mindeststandards, sog. Jus cogens. Darauf haben wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach hingewiesen und dies mit Rechtsgutachten belegt. Die Hinweise darauf blieben allerdings von den Vertretern des Senats und den Regierungsfraktionen ebenso unbeachtet wie die Studienlage. Diese belegt, dass psychiatrische Zwangsmaßnahmen bei einer deutlichen Mehrheit der Betroffenen große Schäden verursachen und von diesen auch im Nachhinein noch kategorisch abgelehnt werden. Nur eine kleine Minderheit sieht für sich tatsächlich positive Aspekte in Gewaltmaßnahmen in der Psychiatrie. Sie könnte entsprechende Maßnahmen der Psychiatrie mit einer Patientenverfügung legitimieren.
Damit sind die Leiden, die das neue Gesetz verursachen wird, kalkuliert und von der Regierungskoalition offenkundig beabsichtigt. Mit der völlig unzureichenden Beteiligung von Betroffenenvertretern wurden weitere grundlegende Elemente der UN-Behindertenkonvention verletzt. Besonders bemerkenswert ist, dass wesentliche Änderungsforderungen von Betroffenenorganisationen keinen Eingang in das neue Gesetz gefunden haben. Dass die Vorgaben der Behindertenrechtskonvention nicht erfüllt werden, hat auch das Deutsche Institut für Menschenrechte während der Gesetzgebung mehrfach kritisiert: das neue PsychKG verfehlt verfassungs- und völkerrechtliche Vorgaben.
Das neue PsychKG ist Grundlage für eine verstärkte Entrechtung durch Diskriminierung, Pathologisierung und Verfolgung von Menschen, die möglicherweise ungewöhnliche Vorstellungen pflegen, sich in emotionalen Krisensituationen befinden oder auf andere Weise von der gesellschaftlichen Mehrheit abweichen, ohne ein Verbrechen begangen zu haben. Die institutionalisierten Verstöße gegen menschenrechtliche Mindeststandards, Jus cogens, durch psychiatrische Gewalt werden ausgeweitet.
Dieses Landesgesetz ist ein großer Rückschlag für den menschenrechtlichen Fortschritt, den das Verbot der Zwangsbehandlung durch das Bundesverfassungsgericht gebracht hatte. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen haben bewusst die Möglichkeit ungenutzt gelassen, diesen Kurs politisch fortzusetzen und Berlin auf den Weg einer modernen, gewaltfreien und ethisch vertretbaren Psychiatrie zu bringen, die es in Deutschland mancherorts schon gibt. Damit erfüllt das neue Gesetz auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht.
Aus diesem Grund streben wir schnellstmöglich eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Berliner PsychKG an. Wir wollen alle Opfer, die ab Inkrafttreten des neuen Gesetztes gegen ihren erklärten Willen psychiatrisch behandelt oder mit einer solchen Behandlung bedroht werden, ermutigen, gegen jeden solchen Versuch mit einer Beschwerde den Rechtsweg einzuschlagen. Damit ein solcher Schritt nicht an der Zahlungsunfähigkeit eines Betroffenen scheitert, unterstützen wir die Einrichtung eines Rechtshilfefonds, der bei in Kraft treten des Gesetzes die Finanzierung der Kosten gegebenenfalls gewährleistet. Unser Ziel ist es, über diesen Weg durch alle juristischen Instanzen erneut eine Annullierung dieses neuen Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht herbei zu führen.
Da nach unserer Auffassung mit der Verabschiedung des Berliner PsychKG den menschenrechtlichen Mindeststandards sowie verfassungsrechtlichen Vorgaben vorsätzlich nicht nachgekommen wurde, haben wir außerdem die Ausarbeitung einer Strafanzeige gegen alle Abgeordneten, die dieser Rechtsbeugung zugestimmt haben, in Auftrag gegeben. Gleichzeitig rufen wir alle Kandidaten für die bevorstehenden Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen dazu auf, sich für eine Abschaffung dieses Gesetzes in der nächsten Legislaturperiode zu engagieren und somit politisch eine Revision der psychiatrischen Menschenrechtsverletzungen in Berlin zu erreichen.