Kurzbericht der Anhörung im Gesundheitsauschuss
Gestern stand der Day of Remembrance and Resistance mit dem T4 Umzug ganz im Zeichen der Bedrohung durch ein neues Landesgesetz zur Zwangsbehandlung. Zuvor fand eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses statt, über die wir im Folgenden berichten. 10 Bilder vom T 4 Umzug vom Bannkreis des Abgeordnetenhauses über den Potsdamer Platz zur Tiergartenstr. 4 sind hier veröffentlicht.
Besonders haben wir uns darüber gefreut, dass der Abgeordnete Alexander Spies von der Piratenfraktion daran teil genommen hat.
Sitzung des Gesundheitsausschusses zum Berliner PsychKG gestern:
Dr. Sabine Müller legt blamablen Auftritt für die DGPPN hin
Die Neufassung des Berliner Psychisch-Kranken-Gesetzes (PsychKG) schlägt derzeit hohe Wellen. Nach jahrelang andauernden Versuchen wird der Gesetzentwurf aus dem Haus von Gesundheitssenator Mario Czaja nun im vierten Anlauf im Parlament behandelt. Die erste Lesung im Plenum hat der Gesetzesentwurf bereits ohne große Debatten hinter sich gelassen, ebenso wie den Rechts- und den Jugendausschuss. Umso mehr wurde die zentrale Ausschusssitzung im Gesundheitsausschuss zur Frage der Vereinbarkeit des Entwurfs mit der Behindertenrechtskonvention am 2. Mai erwartet.
Überraschenderweise wurde von der SPD die DGPPN-Vertreterin Dr. Sabine Müller für die Anhörung benannt. Frau Müller, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité Berlin tätig ist, hat sich durch ihre einschlägigen Publikationen bereits im Vorfeld einen Ruf als „Hardlinerin“ erarbeitet. In ihren Veröffentlichungen versuchte sie unter anderem den Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Folter aus dem Jahr 2013 und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot von Zwangsmaßnahmen von 2011 zu relativieren. Frau Müller ist deshalb dem dogmatischen Biologisten-Flügel innerhalb der DGPPN zuzuordnen, der sich für die unveränderte und ausnahmslose Weiterführung von Psychiatriegewalt ausspricht. Schon vor der Sitzung war von Aktivisten der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener deshalb im Saal ein Flugblatt in Umlauf gebracht worden (siehe hier: Entgegnung_ auf_ Mueller), in welchem auf die Positionen von Frau Müller mit entsprechenden Gegenargumenten hingewiesen wurde.
Wenig überraschend war dann auch die Stellungnahme von Frau Dr. Müller, bei der sie sich erneut in breitem Umfang für Zwang und Folter in der Psychiatrie stark machte und die Ausführungen ihrer Vorredner zu den Menschenrechten und der Option auf eine gewaltfreie Psychiatrie unbeachtet ließ. Entsprechend skeptisch wurde ihr Auftritt aus dem Publikum begleitet. Immer wieder wurde Frau Müllers monoton abgelesener Vortrag von Protestbemerkungen, Zwischenrufen und Gelächter unterbrochen, sodass der Ausschussvorsitzende mehrmals zur Ordnung rufen musste. Die selbsternannte „Neurophilosophin“ ignorierte die Zwischenrufe jedoch ebenso, wie die kritischen Nachfragen des Abgeordneten Alexander Spies aus der Piratenfraktion.
Engagierten Widerspruch erntete Frau Müller zudem von Frau Patrizia Di Tolla von der Berliner Gesellschaft für Soziale Psychiatrie sowie von Herrn Dr. Valentin Aichele vom Deutschen Institut für Menschenrechte, der die Monitoringstelle für den UN-Ausschuss für die Rechte von Behinderten vertrat. Beide wurden ebenfalls vom Ausschuss als Experten angehört. Den blamablen Höhepunkt der Performance von Frau Müller stellte eine direkte Ansprache von Herr Aichele an Frau Müller gegen Ende der Sitzung dar. Nachdem die Diskussionsrunde für die Abgeordneten eröffnet worden war und Frau Müller auf mehrere Nachfragen die Behindertenrechtskonvention erneut falsch wiedergegeben hatte, wies Dr. Aichele mit deutlichen Worten auf die bewusste Verzerrung durch diese unkorrekte Auslegung hin, wofür es Szeneapplaus aus dem Publikum gab.
Trotz der Tatsache, dass der Foltervorwurf gegen die Zwangspsychiatrie und die gravierenden menschenrechtlichen Defizite in der Anhörung klar zur Sprache gekommen sind, ließ die Senatsvertretung während der Anhörung durchblicken, dass sie sich von den menschenrechtlichen Bedenken nicht beeindrucken lassen wird. Damit ist es eher wahrscheinlich geworden, dass das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der Großen Koalition schon im Juni den verfassungs- und völkerrechtswidrigen Gesetzesentwurf zum PsychKG verabschieden wird und damit intensiver Psychiatriegewalt in Berlin erneut den Weg ebnet.
Bericht von Ole Arnold Schneider