Berliner PsychKG – Gesetzgebungsverfahren gestartet
WARNHINWEIS
Der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg und die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener haben alle Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses (Landtag) mit folgendem Hinweis gewarnt:
Sehr geehrte Abgeordnete,
am 26. Februar 2015 sandten wir Ihnen eine offene Antwort auf einen offenen Brief: Der Rammbock gegen die Menschenrechte. Damit Sie nicht danach suchen müssen, fügen wir sie anliegend nochmals bei.
Inzwischen hat die Senatskanzlei mitgeteilt, dass sich das Berliner Abgeordnetenhaus ab Januar mit dem inzwischen 4. Entwurf eines PsychKGs befassen werde. Wir haben diesen Entwurf am 16.10.2015 hier veröffentlicht. Der Rat der Bürgermeister hat ihn am 17.12. mit ein paar Veränderungswünschen akzeptiert, die wir hier veröffentlicht haben. (Die vom Rat der Bürgermeister gewünschten Änderungen sind hier im Textumfeld zur besseren Verständlichkeit in Rot eingetragen.)
Jedoch wurde die alte Giftmischung (siehe Entwurf Nr.2: und Nr.3) nur in neue Schläuche verpackt und auf über 150 Seiten aufgeschäumt. Im Wesentlichen ist es aber derselbe illegale, mit geltendem Recht der Behindertenrechtskonvention völlig unvereinbare Terror gegen psychiatrisch verleumdete Mitbürger geblieben, wie wir ihn in Der Rammbock gegen die Menschenrechte kritisiert hatten. Wes Geistes Kind der Entwurf ist, beweist, dass nun sogar der grundrechtlich geschützte Kern der Persönlichkeit Preis gegeben werden soll. Warum wurde er denn sonst aus dem Gesetzentwurf gestrichen, obwohl er in den PsychKGen anderen Länder explizit aufgenommen wurde? Weil insbesondere den Amtsrichterinnen und Amtsrichtern auf Zuruf von Ärzten freie Hand gelassen werden soll, diese Frage gar nicht mehr zu prüfen.
Als Abgeordnete sollen Sie einem Gesetzentwurf zur brutalsten staatlichen Strafe vor der Todesstrafe zustimmen, der erzwungenen Erduldung einer Körperverletzung.
Wir weisen Sie hiermit auf das politische und moralische Risiko hin, dass Sie bei einer Zustimmung tragen würden. Zunächst das moralische Risiko, warum sie Böses dabei tun würden:
Die erzwungene Erduldung einer Körperverletzung ist menschenrechtlich gesprochen Folter bzw. grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung.
Inzwischen hat nicht nur Juan E. Méndez psychiatrische Zwangsbehandlung entsprechend bezeichnet und darauf hingewiesen, dass es keine entsprechende Gesetzgebung mehr geben darf, bzw. diese abgeschafft werden muss, siehe Der Rammbock gegen die Menschenrechte, sondern auch der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist „tief besorgt darüber, dass der Vertragsstaat [Deutschland] die Verwendung körperlicher und chemischer Freiheitseinschränkungen, die Absonderung und andere schädliche Praktiken nicht als Folterhandlungen anerkennt.“ Zitat aus dem Artikel 33 des ersten Staatenberichts dieses Ausschusses über Deutschland am 17.4.2015.
Der Senat hat jedoch offenbart, dass er die Behindertenrechtskonvention, die Monitoringstelle und den UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen für belanglos hält. Bitte lesen Sie dazu die Antworten des Senats auf eine Anfrage von MdA Alexander Spies im Abgeordnetenhaus, die im Internet hier veröffentlicht ist.
Wir halten diese Verachtung der UN, der Menschenrechte und der Betroffenen für niederträchtig !
Zu den politischen Risiken:
Anliegend senden wir Ihnen eine Broschüre mit der Abhandlung von Prof. Wolf-Dieter Narr und RA Thomas Saschenbrecker:
„Nachgefragt – die Reform der Zwangsbehandlung mit Neuroleptika in der Praxis der Betreuungsgerichte.“
Wir möchten Ihnen diese Lektüre ans Herz legen.
Im Einführungsteil wird darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof mit dem Vorlagebeschluss vom 1. Juli 2015 – XII ZB 89/15 – dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt hat, ob § 1906 Abs. 3 BGB neue Fassung [psychiatrische Zwangsbehandlung im BGB] mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Eine Entscheidung der Verfassungshüter, die in letzter Konsequenz zu einer Ablehnung der Grundlagen der Zwangsbehandlung insgesamt führen könnte, würde nicht nur den UN bzw. menschenrechtlichen Forderungen entsprechen, dass so ein Foltergesetz nicht beschlossen werden darf, sondern läge auf der bisherigen Linie der Rechtsfortbildung des Bundesverfassungsgerichts.
Denn, wie in dem Fazit der Abhandlung ausgeführt wird,
„zwei Jahre nach in Kraft treten des BGB-Gesetzes zur Zwangsbehandlung kann nur dessen Scheitern festgestellt werden: es hat das Ziel einer „Ultima Ratio“ Regelung verfehlt, stattdessen Rechtsunsicherheit geschaffen. Der Versuch körperlich Kranke und psychisch Kranken ungleich zu behandeln und letztere rechtlich mit einem Sondergesetz zu diskriminieren, wenn sie einwilligungsunfähig diagnostiziert werden sollten, ist ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz von Art. 3 GG und gegen den Kern der BRK. Es darf kein staatliches Monopol gesundheitlicher Bevormundung mit Zwang geben. Freie Willensentscheidung mit körperverletzendem Zwang erreichen zu wollen, ist in sich paradox.
Entweder Grundrechte oder Behandlung um jeden Preis.“
Dieses Fazit der Abhandlung ist deshalb so plausibel und erhellend, weil der Untersuchung das Datenmaterial einer Umfrage bei allen deutschen Amtsgerichten zu Grunde lag, das hier veröffentlicht wurde.
Es beweist, dass die Prävalenz der Zwangsbehandlung innerhalb eines Bundeslandes um den Faktor unendlich schwankt. Z.B. autorisierte das Amtsgericht Stolzenau, dass dessen Verzicht auf Zwangsbehandlung öffentlich benannt wird. Dagegen stehen in Niedersachsen Amtsgerichte mit bis zu 60 Zwangsbehandlungen oder ein Amtsgericht in Bayern, das angegeben hat, 167 Zwangsbehandlungen in den letzten 2 Jahren genehmigt zu haben.
Ja sogar innerhalb eines Amtsgerichts werden höchstrichterliche Rechtsprechung bzw. die Gesetze unterschiedlich angewendet, wie die Antworten im „Komplex C“ der Abhandlung beweisen, Zitat: Auffällig: Bei den vier Gerichten mit mehrfachen Antworten, sind die Antworten der Richter uneinheitlich.
Es ist also offensichtlich, dass es gar nichts mit dem Gesetz zu tun hat, ob man zwangsbehandelt wird, sondern es ist willkürlich, je nachdem welchem Richter man nach dem Buchstaben des Nachnamens in einem Gericht zugeordnet wird bzw. welches Amtsgericht für die Genehmigung zuständig ist.
Es herrscht die schiere Rechtswillkür, verharmlosend „Rechtsunsicherheit“ genannt.
Wollen Sie wirklich nicht nur das Risiko eingehen, für ein Gesetz zu stimmen, das völliger Rechtswillkür Tür und Tor öffnet, sondern auch durch die noch ausstehende Entscheidung des BVerfG bald danach wieder als unvereinbar mit dem Grundgesetz erkannt werden könnte?
Sie werden im kommenden Wahlkampf [Wahl im Herbst 2016] zur Verantwortung gezogen werden, wenn Sie einem mit dem Grundgesetz unvereinbaren Foltergesetz trotz dieses Warnhinweises zugestimmt haben sollten.