Offener Brief ans Bundesverfassungsgericht

coverBundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.

Offener Brief an
den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts
Postfach 1771
76006 Karlsruhe

Mittwoch 28. Oktober 2015

Sehr geehrte Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts,

unserer Kenntnis nach werden Stellungnahmen ans Bundesverfassungsgericht bis zur Veröffentlichung des Beschlusses bzw. Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht veröffentlicht, um jeden Anschein zu vermeiden, das Gericht solle so unter öffentlichen bzw. politischen Druck gesetzt werden. Diese Überlegungen haben die „Aktion psychisch Kranke“ (ApK) nicht daran gehindert, ihre Stellungnahme zum Geschäftszeichen 1 BvL 8/15 vom 17.9. 2015 auf ihrer Homepage www.apk-ev.de zu veröffentlichen. Wir fühlen uns durch diesen Schritt der ApK dazu aufgefordert, diese Stellungnahme öffentlich zu kommentieren.
Die ApK eröffnet ihre Stellungnahme schlicht mit einer Unwahrheit, Zitat:

Die AKTION PSYCHISCH KRANKE setzt sich seit mehr als 40 Jahren für die Reform der psychiatrischen Versorgung ein. Sie vertritt die Anliegen von Menschen mit psychischen Erkrankungen gegenüber der Politik sowie den Verwaltungen, Leistungsträgern und Leistungserbringern.

Ein kurzer Blick in die Liste der Vorstands- und Beiratsmitglieder bringt dann die Wahrheit ans Licht: Die ApK ist in Wahrheit eine Pressure Group von 8 Chefärzten, Ärztinnen sowie Geschäftsführern von Zwangspsychiatrien bzw. Psychiatrie Zulieferern, sowie 6 PolitikerInnen als Lobby der zahlungskräftigen Ausschüttung staatlicher Mittel zur Selbstversorgung der „Versorger“. Was für ein Etikettenschwindel, wenn sich die Profiteure der Zwangspsychiatrie als „Vertreter der Anliegen der Betroffenen“ darstellen; diese Behauptung ist übergriffig. Da könnte sich auch der Ku-Klux-Klan als „Vertreter der Anliegen“ der Afroamerikaner ausgeben. Die Betroffenen haben sich unabhängig und bundesweit im Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und in der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener zusammengeschlossen und vertreten ihre Anliegen selbst bzw. durch von ihnen bevollmächtigte Rechtsanwälte.

Die ApK fährt dann mit der Unwahrheit im Quadrat fort, Zitat:

..dass das gesamte Betreuungsrecht, aber auch die Bestimmungen über die zivilrechtliche Unterbringung und die ärztlichen Zwangsmaßnahmen nicht nur in die Grundrechte eingreifen, sondern auch der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenwürde des Betroffenen dienen…

Zwangsbetreung (Entmündigung) verwirklicht laut ApK also die Grundrechte!
Mag die Entmündigung auch zur arglistigen Täuschung der Betroffenen und der Öffentlichkeit euphemistisch als „Betreuung“ verbrämt werden, so hat zumindest Ihr 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 20.1.2015 unter den Zeichen 1 BvR 665/14 eine Zwangs“betreuung“ aufgehoben und erkannt, Zitat aus der Begründung:

Die Entscheidungen des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG….
Der mit einer Betreuung verbundene Eingriff in die Handlungsfreiheit des Betroffenen ist schwerwiegend und schränkt je nach Gegenstand und Umfang der erfassten Aufgabenkreise das Grundrecht des Betreuten aus Art. 2 Abs. 1 GG massiv ein…

Anzumerken ist, dass die in der BRD zum Gesetz gewordene Behindertenrechtskonvention (BRK) genau diese Handlungsfähigkeit zum Zentrum hat und sie als unverletzliches Menschenrecht ausbuchstabiert. Entsprechend wurde Deutschland vom UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowohl in den „Concluding Observations“ verurteilt, als auch in den Richtlinien zum Artikel 14 der BRK daran erinnert, dass ein ratifizierender Staat sich in Artikel 12 der BRK dazu verpflichtet:

Gleiche Anerkennung vor dem Recht
1. Die Vertragsstaaten bekräftigen, dass behinderte Menschen das Recht haben, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden.
2. Die Vertragsstaaten erkennen an, dass behinderte Menschen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen.

Damit ist in aller Deutlichkeit der Unwahrheit im Quadrat widersprochen, derer sich die ApK bedient. Im Einzelnen dokumentiert wird sie im Comment No. 1 des UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Die ApK verbreitet diese Unwahrheiten, um ihr tatsächliches Interesse zu vertuschen: Die Verteidigung einer paternalistischen Hegemonie und deren Pfründe.
Daraus erschließt sich der Rest der ApK Stellungnahme: Erzwungene Körperverletzung wird als „Schutz“ dargestellt. Das ist so paradox, wie noch bei fast jedem Angriffskrieg versucht wurde, ihn als „Verteidigungsmaßnahme“ darzustellen, oder andere Übergriffe als angeblich „zum Besten“ der Misshandelten rationalisiert und schöngeredet werden. Das Schutzrecht vor Übergriffen wird umgedeutet in ein angebliches „Schutzrecht“ zu Übergriffen – Freiheitsberaubung und Körperverletzung soll ein „Recht auf Schutz und Behandlung“ sein. Ein unmittelbarer Beweis, dass die Betroffenen zu Entmündigten geworden sind, deren „Nein“ nichts gilt und deren Handlungsfähigkeit negiert wird. Dazu soll dann ein „erweiterter Unterbringungsbegriff“ dienlich sein, der „Unterbringung“ von der Freiheitsentziehung entkoppelt, um dann ambulante wie stationäre Zwangsbehandlung zu ermöglichen, wann immer ein Psychiater einen Mitbürger sich selbst oder andere für gefährdend und behandlungsbedürftig wähnt. Ein Richtervorbehalt ist dabei keine Hürde, denn seit Bestehen der BRD haben Richter über 60 Jahren diese abgenickt, obwohl es noch nie ein grundgetzkonformes Gesetz dafür gab – bei Zwangsbehandlung wird ein Richtervorbehalt zur verantwortungsentlastenden Nullnummer.
Auch wenn die ApK uns in den letzten Sätzen der Stellungnahme über die Beachtlichkeit einer durch eine Patientenverfügung verunmöglichten Diagnose aus dem Herzen spricht, hat die ApK nur ein Anliegen: Wachstum und Prosperität des psychiatrischen Systems.