Im Sommerloch Erfreuliches vom BVerfG
Wieder haben aus Psychiatriegehorsam die Richter von unteren Gerichten Arroganz, Willkür und Gesetzesvergessenheit bewiesen.
Wieder musste bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geklagt werden.
Das BVerfG hat nun zwei bemerkenswerte Entscheidungen zur Zwangsbehandlung sowie Zwangseinweisung veröffentlicht:
A) In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden [. . .]
1. gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 26. Mai 2014 – 02 T 285/14 – (Genehmigung der – auch zwangsweisen – medikamentösen Behandlung) – 2 BvR 1549/14 -,
2. gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 26. Mai 2014 – 02 T 285/14 – (Genehmigung der vorl. Unterbringung) – 2 BvR 1550/14 – hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts [. . .] am 14. Juli 2015 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 26. Mai 2014 – 02 T 285/14 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
Das Land Sachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der vollständige Beschluss mit der Begründung, warum auch nicht eingesperrt werden darf, wenn die Zwangsbehandlung illegal ist, hier.
Die Begründung des Beschlusses des BVerfG ist eine „Prügelorgie“ gegen die unteren Gerichte, die in nahezu jeder Hinsicht einfach nur „frei Schnauze“ geurteilt hatten. Das macht den Beschluss an sich schon lesenswert. Besonders hervorheben möchten wir noch folgende Zitate:
„…Auch soweit feststehen dürfte, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Erlasses des landgerichtlichen Beschlusses krankheitsbedingt die Notwendigkeit der Behandlung nicht (mehr) einsehen konnte, hätte das Landgericht angesichts der aus dem amtsgerichtlichen Beschluss ersichtlichen Feststellungen überprüfen müssen, ob nicht möglicherweise ein nach § 1901a Abs. 1 oder 2 BGB [Patientenverfügungsgesetz] beachtlicher Wille der Beschwerdeführerin der Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung entgegenstand (vgl. hierfür Marschner, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 5. Auflage 2014, § 1906 Rn. 36; siehe hierzu auch die Neuregelung des § 630d BGB; vgl. zur Bindung des Betreuers an den mutmaßlichen Patientenwillen [fett von uns] bei dessen Einwilligungsunfähigkeit, soweit keine Patientenverfügung i.S.d. § 1901a Abs. 1 BGB vorliegt, auch die Gesetzesbegründung BTDrucks 17/11513, S. 7).“ …
„…Vielmehr lassen sie vermuten, dass das Landgericht daraus, dass die Entscheidung der Beschwerdeführerin zur Absetzung der Medikamente von durchschnittlichen Präferenzen abweicht und aus der Außenansicht unvernünftig erscheinen dürfte, auf die (eingriffslegitimierende) Unfähigkeit der Beschwerdeführerin zu freier Selbstbestimmung geschlossen hat. Damit verkennt es, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit als Freiheitsgrundrecht das Recht einschließt, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der – jedenfalls in den Augen Dritter – den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft. Die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt gerade auch die „Freiheit zur Krankheit“ und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <304 m.w.N.>).“
Damit betont das BVerfG genau den Punkt, den wir immer hervorgehoben haben: laut Gesetzestext des § 1901a Abs 2 ist der mutmassliche Wille „aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln.“ Also müssen Beweise für einen vorhergegangenen (freien) Willen, auch grundrechtsverletzend zwangsbehandelt zu werden, vorgebracht werden! Sonst ist der mutmaßliche Wille offensichtlich der natürliche Wille, nicht eingesperrt zu werden, weil sich die Person ansonsten freiwillig in die Psychiatrie begeben bzw. dort bleiben würde. Ärzte bzw. Betreuer müssen diesen (natürlichen) Willen – der vom Gesetzgeber so gestärkt wurde, dass damit sogar eine Patientenverfügung widerrufen werden könnte – entkräften, indem sie mit Tatsachen einen vorher geäußerten Willen, eingesperrt und zwangsbehandelt werden zu wollen, beweisen. Das geht eigentlich nur mit einer positiven psychiatrischen Vorausverfügung, der unter Zeugen mündlich ausdrücklich zugestimmt wurde.
B) Gleich für unglaubliche ZWEI JAHRE wollte ein Gericht Zwangsbehandlung genehmigen:
Beschluss vom 07. Juli 2015 – 2 BvR 1180/15 – Beschluss zur Forensik – gleicher Senat und dieselben Richter, hier.
„Zwangsbehandlung mit Neuroleptika im Maßregelvollzug
Die Anordnung einer medizinische Zwangsbehandlung nach dem ThürMRVG kann vor dem Hintergrund von Art. 2 Abs. 2 GG nicht für die Dauer von zwei Jahren erfolgen.“
Dabei sind die Gründe wichtig, denn obwohl das BVerfG die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat, hat es mit der Begründung gezeigt, dass es solche „frei-Schnauze-Beschlüsse“ der unteren Gericht nicht hinnimmt.