NJW Interview mit Gerhard Strate

Strate_front_kleinDie von nahezu allen Richtern und Anwälten gelesene extrem sorgfältig redigierte Neue Juristische Wochenschrift (NJW), in der vor allem aktuelle Urteile dokumentiert werden, die für die Rechtsentwicklung wichtig sind, hat in der Nr. 11 ein ganzseitiges Interview mit Gerhard Strate veröffentlicht. Dass zeigt, dass sein Buch „Der Fall Mollath“ in Juristenkreisen sehr ernst genommen wird und hoffentlich die weitere Diskussion um den § 63 in Richtung Abschaffung dieses Unrechtsparagraphen befördert. Siehe im Inhaltsverzeichnis unten.

Wir zitieren aus dem Interview – vollständig nachzulesen z.B. in jeder Bibliothek einer Universität mit Juristenausbildung:

NJW: Herr Strate, von forensisch-psychiatrischen Sachverständigen halten Sie nicht viel. Ihrer Meinung  nach ist deren Wirken mit einem Rechtsstaat unvereinbar. Können Sie uns das erläutern?
Strate: Seit rund 150 Jahren versuchen Nervenheilkundler, den Ursachen psychischer Erkrankungen auf die Spur zu kommen. Das Ergebnis dieser Bemühungen geht gen Null. Stattdessen begnügt sich die heutige Psychiatrie mit Klassifikationssystemen wie dem ICD 10, die im Grunde keine Diagnosen darstellen, sondern die Zuordnung bestimmter Verhaltenssymptome zu bestimmten Krankheitsbildern sind. Mehr nicht. Kein Arzt ist daran gehindert, trotz mangelnder Kenntnis über die eigentlichen Ursachen psychischer Erkrankungen sich um die beschädigte Seele eines Patienten zu bemühen. Schlimm wird es aber, wenn die Psychiatrie, obwohl sie über die Erfassung von Symptomen nicht hinauskommt und im Grunde nichts weiß, als so genannte forensische Psychiatrie über Schuld oder Unschuld, über Freiheit oder Unfreiheit eines Menschen oder gar über vermeintliche Therapien unter Anwendung körperlichen Zwangs (mit-)entscheidet. Die Arbeitsergebnisse der forensischen Psychiatrie erfüllen mehrheitlich nicht ansatzweise die Mindestanforderungen, die man an jedes andere Beweismittel stellen würde, sondern spinnen ihre Opfer in ein dichtes Gewirk aus halbgaren Mutmaßungen und übergriffigen Feststellungen ein. Ältere Damen, die den Kaffeesatz lesen, arbeiten auf gleichem Niveau. …

NJW: Besonders hart ins Gericht gehen Sie mit dem Berliner Forensiker Hans-Ludwig Kröber. Weshalb?
Strate: Er war eine dieser Koryphäen. Er mag früher Gutachten verfasst haben, die diesem Status gerecht werden. Sein Gutachten über Mollath wurde es nicht. Entgegen seinen eigenen Vorgaben begnügte er sich mit unvollständigen Akten und war sichtlich angefasst von Mollaths Verhalten, der eine Exploration abgelehnt hatte. Noch im Jahr 2013 kündigte er für eine Fortbildungsveranstaltung einen Vortrag zu dem Thema „Unser Gustl: Realität, Wahn, Justiz und Medien“ an. Zynischer geht’s nimmer. Der Titel des Vortrags wurde nach Protesten der Öffentlichkeit geändert.

NJW: Im Fall von Gustl Mollath haben die Gerichte die ihn belastenden Gutachten bereitwillig und unkritisch übernommen. Warum lässt sich die Justiz von den Sachverständigen das Heft so aus der Hand nehmen?
Strate: Obwohl die Entscheidung über die Unterbringung eines Menschen im Maßregelvollzug den Gerichten obliegt, ist es in der Praxis so gut wie immer das forensisch-psychiatrische Gutachten, das den Ausschlag gibt. Zur Rechenschaft gezogen werden Mediziner dennoch so gut wie nie, da sie sich bei kritischen Fragen reflexhaft auf die richterliche Verantwortung berufen und ihre Hände in Unschuld waschen. Es gilt die Unsitte der wechselseitig delegierten Verantwortung. …

NJW: Thomas Fischer, Vorsitzender des 2. Strafsenats des BGH, wirft Ihnen vor, Sie hätten den Psychiatrieskandal zu überdimensionaler Größe aufgeblasen. Wie sehen Sie diese Kritik?
Strate: Thomas Fischer schreibt in seiner Rezension, das Buch sei „als Lektüre sehr zu empfehlen“ und alle meine Fragen seien berechtigt. Wo er Übertreibungen erkennt, sehe ich allenfalls Pointierungen. Sie sind ein Hilfsmittel, um die verbalen Nebelschwaden der forensischen Psychiater aufzuklaren. Und wenn Thomas Fischer konstatiert, vom deutschen Maßregelvollzug zu Guantánamo sei es nur ein kleiner Schritt, geht er über meine Kritik noch hinaus.

NJW: Sehen Sie Wege, die unheilvolle Allmacht der forensischen Sachverständigen zu beschneiden?
Strate: Zunächst einmal müssen die als Richter und Staatsanwälte verantwortlichen Juristen erkennen, dass die forensische Psychiatrie keine Wissenschaft ist, die über die Ursachen psychischer Erkrankungen tatsächlich irgendetwas Valides wüsste. …

Gerhard Strate ist diese Woche wieder auf Lesereise 🙂
Am 25.03.2015 um 19:00 Uhr in der Geschäftsstelle des Anwalt Verein Stuttgart e.V. , Olgastr. 57 A
Eintritt: € 8,00, Anmeldung erbeten, Auskünfte und Anmeldung bei Sandra Junker, Telefon: (0711) 16354-99, E-Mail: s.junker@schweitzer-online.de

Am 26.03.2015 um 19:00 Uhr in der Buchhandlung Hoser+Mende KG, Karlstraße 76, 76137 Karlsruhe
Eintritt: € 8,00,  Anmeldung erbeten, Auskünfte und Anmeldung bei Christoph Bongartz, Telefon: (0721) 98161-38, E-Mail: c.bongartz@schweitzer-online.de