Der Rammbock gegen die Menschenrechte
• Heiko Thomas MdA
Gesundheits- und Haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin
• Prof. Dr. Joachim Zeiler
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Chefärztinnen und Chefärzte Psychiatrischer Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern und Fachkrankenhäusern in Berlin
• Christian Reumschüssel-Wienert
Referat Psychiatrie/Queere Lebensweisen des Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin e.V.
• Marianne Schumacher
Vorstand Angehörige psychisch Kranker Landesverband Berlin e.V.
• Matthias Rosemann
Geschäftsführer Träger gGmbH Reinickendorf
Sie fordern vom Gesundheitssenator ein sog. Psychisch Krankengesetz, um die angeblich oder tatsächlich „psychisch Kranken“ endlich wieder mit Gewalt durch Zwangsbehandlung foltern zu können. Am 23. März 2011 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit dem Zeichen 2 BvR 882/09 endlich entschieden, dass psychiatrische Zwangsbehandlung illegal ist und in der BRD schon immer illegal war, weil die entsprechenden Gesetze mit dem Grundgesetz unvereinbar waren. Diese Entscheidung musste das BVerfG 2011 und 2013 nochmals bestätigen, weil trotz dieser Verurteilung weiter in den Psychiatrien gefoltert wurde. Am 26. April 2011 hat der Landesbeauftragte für Psychiatrie, Heinrich Beuscher, einen Gesetzentwurf für ein neues PsychKG vorgelegt. Leicht revidiert hat er dasselbe Machwerk mit Datum vom 3. April 2014 erneut zirkulieren lassen, siehe hier.
Weil Zwangsbehandlung offensichtlich Folter ist, hat sie der UN-Sonderberichterstatter über Folter Juan Méndez als solche charakterisiert. (Und inzwischen hat auch der Papst sich dem angeschlossen und Zwangsbehandlung als Folter bezeichnet). Weil sie außerdem unvereinbar mit der am 1.1.2009 Gesetz gewordenen Behindertenrechtskonvention (BRK) ist, hat der Senat zunächst listig versucht, für diesen Gesetzentwurf von der nationalen Monitoringstelle für die BRK einen Persilschein zu bekommen. Den Piraten im Abgeordnetenhaus wurde entsprechend am 27. November 2014 geantwortet, dass dieser Persilschein nicht vorlag und es wird ihn auch niemals geben.
Es ist also klug von den regierenden Parteien SPD und CDU kein Foltergesetz für ein Gesetzgebungsverfahren vorzulegen, sondern es bei dem menschenrechtskonformen Zustand zu belassen, dass es keine landesgesetzliche Grundlage für Zwangsbehandlung gibt – weder im Maßregelvollzug, noch in den anderen psychiatrischen Stationen. Zumal schon am 25.2.2008 ein Rechtsgutachten im Abgeordnetenhaus vorgestellt und allen Abgeordneten zugestellt wurde, welches darlegt, dass jegliche psychiatrische Zwangsbehandlung mit der BRK unvereinbar ist. Dessen Aussagen wurden bereits am 26.1.2009 durch das UN-Hochkommissariat bestätigt, siehe Artikel 48 und 49 der Erklärung des Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights on enhancing awareness and understanding of the Convention on the Rights of Persons with Disabilities. Bezeichenderweise wurde dieses Rechtsgutachten zusammen mit Dr. Dirk Behrendt im Abgeordnetenhaus vorgestellt, dem damaligen rechtspolitischen Sprecher der Berliner Grünen. Und das ist er auch noch heute! Hat Heiko Thomas Dr. Dirk Behrendt nicht konsultiert, oder hat er von der Grünen Fraktion einen Blankoscheck?
Der Verantwortliche des Entwurfs-Machwerks, der Landesbeauftragte für Psychiatrie, Heinrich Beuscher, ist am 1.2.2015 von seinem Amt zurückgetreten. Am 2. Mai 2014 hatte er in Folge seines menschenrechtlichen Total-Versagens von Demonstranten vor seiner Tür zu hören bekommen: „Beuscher! Du Täuscher!“. Siehe Bilder der Demonstration hier.
Dass Zwangsbehandlung illegal ist, ist dem Rammbock gegen die Menschenrechte unerträglich. Der Rammbock meint aktiv werden zu müssen und fordert ein Foltergesetz. In seinem offenen Brief bedauert er: „die erkrankten Menschen [werden] zwar in eine Klinik oder eine Krankenhausabteilung mit richterlichem Beschluss eingewiesen, sie können aber dort nicht behandelt werden.“ Er kann sich also nur Folter und Gewalt als angebliche „Behandlung“ vorstellen, für die diese Menschenrechtsverächter endlich ein Gesetz fordern. Sie sind zwangs- und gewaltfixiert, weil jede einverständliche freiwillige Behandlung eben keines Gesetzes bedürfte. Manipulativ versucht der Rammbock mit mehreren Lügen diesen Roll-back zu inszenieren:
- Lüge 1: Es gäbe eine Rechtsunsicherheit – das Gegenteil ist richtig. Endlich gibt es Rechtssicherheit – mag diese Rechtssicherheit auch Ärzten, Richtern und dem Psychiatriefilz nicht schmecken, da sie deren Macht beschränkt.
- Lüge 2: Es gäbe eine Gesetzeslücke – das Gegenteil ist richtig. Endlich ist durch die Entscheidungen des BVerfGs ein zusammenhängender gesetzlicher Schutz der Grundrechte der Betroffenen ohne Diskriminierung von angeblich oder tatsächlich psychisch Kranken entstanden – wie ihn die Behindertenrechtskonvention und auch Art. 3 GG – Verbot der Diskriminierung Behinderter – vorsehen.
- Lüge 3: Es gäbe besondere Probleme seitdem nicht mehr zwangsbehandelt werden könne – das Gegenteil ist richtig: Sogar der Betreuungsgerichtstag hat im November 2012 in einer Abschlusserklärung verlautbart:
“…Das letzte halbe Jahr zeigt keine bedrohliche Entwicklung für Patienten in der Psychiatrie. Vielmehr hat sich gezeigt, dass andere therapeutische Wege zur Verfügung stehen und erfolgreich beschritten werden können …”
Und der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Klinikums Heidenheim, Dr. Martin Zinkler schreibt:
“… In Heidenheim, einer Klinik, die für immerhin 135.000 Einwohner im Landkreis die Versorgungsverpflichtung übernimmt, also für freiwillige und zwangsweise in die Klinik gebrachte Patienten, mit 1200 Aufnahmen im Jahr hat sich durch die fehlende gesetzliche Grundlage zur Zwangsbehandlung keine nachteilige Situation ergeben – im Gegenteil: wir sagen unseren zwangsweise eingewiesenen Patienten, dass sie nicht gegen ihren Willen medikamentös behandelt werden, und das nimmt der Unterbringung schon einen Teil der Bedrohung …”
Diese 3 genannten Propaganda-Lügen ergänzen die folgenden falschen Behauptungen:
- Zwangsbehandlung wäre im Interesse der Betroffenen.
Das Gegenteil ist richtig!
Zwangsbehandlung ist eine schwere Misshandlung, um den Willen der Betroffenen zu brechen. Zwangsbehandlung wird von den Verbänden der Betroffenen mit aller Entschiedenheit in öffentlichen Erklärungen und Demonstrationen seit vielen Jahren bekämpft. In vielen Demonstrationen wurde die Forderung einer gewaltfreien Psychiatrie auf die Straße getragen. Die Unterstellung, die Betroffenen wollten Zwangsbehandlung, sie wäre also in deren Interesse, ist zynisch. Wenn ein Erwachsener Zwangsbehandlung akzeptieren will, also jemand eine solche Zwangsbehandlung für sich selbst u. U. für wünschenswert halten sollte, dann wurde gerade durch das Patientenverfügungsgesetz dafür die rechtsverbindliche Möglichkeit geschaffen, diese durch eine entsprechende, Zwangsmaßnahmen legitimierende und legalisierende, Patientenverfügung gesetzeskonform zu ermöglichen – es gibt eben gerade weder eine Rechtsunsicherheit noch eine Gesetzeslücke. - Es gehe darum, Zwangsbehandlung als “ultima ratio” gesetzlich zu regeln.
Das Gegenteil ist richtig!
Wenn es tatsächlich um “ultima ratio”-Entscheidungen ginge, dann müssten sich diejenigen, die als Täter handeln, mit allgemein gültigen Gesetzen, z.B. der Nothilfe, als rechtfertigender Begründung verteidigen, wenn diejenigen, denen angeblich geholfen wurde, diese Hilfe gar nicht als hilfreich empfunden haben, sondern klagen sollten. Wenn aber “ultima ratio” als Gesetz mit der Allgemeingültigkeit eines Gesetzes geregelt werden sollte, ist das begrifflich ein Paradox. Vielmehr können die Worte “ultima ratio” für eine solche Regelung nur als die täuschende Verkleidung eines Standard-Falls verstanden werden – es wäre also ein illegitimes, verlogenes Gesetz.
Wir hoffen, dass der Senat dem Versuch des Rammbocks, ihn unter Druck zu setzen, widersteht und kein neues PsychKG in das Abgeordnetenhaus einbringt, oder wenn, dann nur eines, in dem alle Zwangsmaßnahmen endgültig abgeschafft werden, die Psychiatrie also gewaltfrei wird. Damit, und nur damit, kann Psychiatrie überhaupt zu einer medizinischen Disziplin werden und ihren Terror- und Folterstatus endlich überwinden.
Wir fordern die fünf oben genannten Organisationen auf, sich von diesem, die Menschenrechte verachtenden Verhalten ihrer Vertreter zu distanzieren.
Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg e.V., im Werner-Fuss-Zentrum gegen Zwangspsychiatrie, Vorbergstr. 9a, 10823 Berlin