Keine Zwangsbehandlung für Hartz-IV-Empfänger per Eingliederungsbescheid

Das_Glck_des_CleverenDas Jobcenter Schleswig-Flensburg versuchte einen Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) per Eingliederungsbescheid unter Sanktionsdrohung dazu zu zwingen, sich psychiatrisch behandeln zu lassen, indem es dem Betroffenen in einem Eingliederungsverwaltungsakt zur Auflage gemacht hat, sich zur Verbesserung seiner Erwerbsfähigkeit in eine Psychotherapie zu begeben. Das Sozialgericht Schleswig ist zu der Überzeugung gekommen, dass dies Grundrechte verletzt. Es hat also erkannt und entsprechend Recht gesprochen:
Für den Erfolg einer psychiatrischen Behandlung ist Freiwilligkeit ausschlaggebend, weshalb Zwang durch das Jobcenter nicht einmal geeignet sei, jemandes Leistungsfähigkeit zu bessern. Außerdem hat auch wer Hartz 4 bekommt das Recht, selbst zu entscheiden ob bzw. wann er sich ärztlich oder psychiatrisch behandeln lässt. Zwangsbehandlung zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und damit Verbesserung der Eingliederung in Arbeit sind unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.
Sollte das Jobcenter versuchen, Sie dazu zu zwingen, sich ärztlich oder therapeutisch gegen Ihren Willen behandeln zu lassen, so lassen Sie sich nicht darauf ein! Unterschreiben Sie keine Eingliederungsvereinbarung und holen Sie sich anwaltliche Hilfe, um gegen einen etwaigen Eingliederungsbescheid (auch genannt: “Die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt”) außergerichtlich sowie gerichtlich vorzugehen.  (Aus der Pressemitteilung der Rechtsanwältin Luisa Milazzo )

Bei der Anwältin traf am 22.10. vorab per Fax die Entscheidung im Eilverfahren gegen den Eingliederungsbescheid ein.
(Beschluss SG Schleswig S 16 AS 158-13 ER). Zitat aus der Begründung im Originalbeschluss, S. 6 und 7:

Im vorliegenden Verfahren ist die Verpflichtung des Antragsstellers zur Durchführung einer psychiatrischen Behandlung zur Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig. Die Kammer kann bereits nicht erkennen, dass die zwangsweise Verpflichtung zur Vornahme einer solchen medizinischen Behandlung ein geeignetes Mittel darstellt um die Leistungsfähigkeit des Antragsstellers zu verbessern. Der Antragsteller sieht selbst nämlich keine Notwendigkeit für eine derartige Behandlung und ist mit einer solchen Maßnahme nicht einverstanden. Für den Erfolg einer psychiatrischen Behandlung dürfte jedoch die freiwillige Teilnahme und die aktive Mitwirkung des Betroffenen Voraussetzung sein. Beides ist vorliegend (noch) nicht gegeben.

Unabhängig davon ist die Verpflichtung jedoch auch nicht zumutbar im engeren Sinne. Der mit der Behandlung verfolgte Zweck – die Verbesserung der Leistungsfähigkeit zum Zwecke der besseren Eingliederung in Arbeit – steht außer Verhältnis zu dem damit verbundene Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Antragsstellers. Die Annahme eines sanktionsbewerten Zwangs zu vollständigen Wiederherstellung der Gesundheit und Verbesserung der Belastbarkeit greift in erheblichen Maße in das Selbstbestimmungsrecht und die Integrität des Antragstellers nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Mangels gesetzlicher Grundlage kann dieser Eingriff mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit nicht gerechtfertigt werden. Der Antragsteller muss autonom entscheiden können, ob bzw. wann er sich wegen gesundheitlicher Einschränkungen in ärztliche bzw. psychiatrische Behandlung begibt (in diesem Sinne auch SG Braunschweig, Beschluss v. 11.9.2006, S 21 AS962/06 ER, zit. nach http://www.elo-forum.org). Der Antragsgegner kann insoweit lediglich (Beratungs-)Angebote unterbreiten. Eine allgemeine Verpflichtung des Leistungsempfängers zur Gesunderhaltung bzw. Gesundung besteht nicht, auch nicht aufgrund des Selbsthilfegebots nach § 2Abs. 1SGB II.  Quelle hier

Und was bedeutet das für alle Anderen? Dass sie sich auch auf die Entscheidung dieses Gerichts berufen können, wenn sie sich weder psychiatrisch untersuchen, noch einsperren und/oder behandeln lassen wollen.
Ob diese gute Entscheidung des Sozialgerichts Schleswig auf eine Langzeitwirkung von Gert Postels Wirken als Amtsarzt dort zurückzuführen ist? Siehe Spiegel Heft 29/1997, Seite 34  Zitat:

Vom September 1982 bis April 1983 war Gert Postel stellvertretender Amtsarzt in Flensburg. Unter seiner Leitung und Aufsicht sank die Zahl der Zwangseinweisungen um 86 Prozent. Legte jemand Beschwerde gegen seine Entscheidung ein, wurde sein Befund vom Landgericht bestätigt. Quelle hier