Eine Scheinwissenschaft am Ende – die Bankrotterklärung psychiatrischer Legitimität
Kurz vor Neuerscheinen des DSM-5 (also der 5. Ausgabe des psychiatrischen Diagnose-Märchenbuches der Amerikanischen Psychiatervereinigung) ist „die Bombe“ geplatzt:
Der Direktor des National Institut für Mental Health (NIHM), Thomas Insel, hat am 29.4. in einer NIMH-Veröffentlichung endlich eingestanden, das aller psychiatrischer Diagnonsens bisher keine Validität hatte. Seine Formulierung ist: „lack of validity“ aller psychiatrischen Diagnosen. Sie waren also immer Märchen, oder wie man im Englischen sagt: Junk Science.
Das ist deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil das NIMH die mit Abstand größte psychiatrische Forschungsinstitution weltweit ist, und dessen Direktor, Thomas Insel, einer der renommiertesten Psychiater und Neurowissenschaftler unserer Zeit. Der Einfluss des NIMH beschränkt sich nicht auf die Vereinigten Staaten. Das NIMH ist international tonangebend, wie andererseits der amerikanische DSM-5 maßgeblich war für die Diagnonsens-Märchenbücher der World Health Organisation, den International Code of Diseases, der in Europa gebräuchlich ist.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen:
Am 4.5. erschien in „Scientific American“, dem Amerikanischen Pendant zu „Spektrum der Wissenschaft“ der Kommentar:
Psychiatry in Crisis! Mental Health Director Rejects Psychiatric “Bible” and Replaces With… Nothing
Zurecht titelt der Kommentator, John Horgan (vollständige Übersetzung des Blogbeitrags hier):
„…die Bibel wird weggeworfen und ersetzt mit ….Nichts
Denn das Eingeständnis nie vorhandener Gültigkeit psychiatrischer Diagnosen, kann das System nie wieder gutmachen, auch nicht, indem Herr Insel jetzt angeblich irgendwelche „Biomarker“ zu Merkmalen erheben will; ja aber Marker von was denn, wenn es nix gültig mehr Diagnostiziertes gibt?
Es beweist nur, wie die Profession auf der Flucht ist!
Aber statt geschickt darauf zu reagieren, versucht das System sich auf die ganz plumpe Tour aus der Affäre zu ziehen. Denn mit dem, was die Profession nun als ein „Rettungsmanöver“ wähnt, leitet sie tatsächlich ihren eigenen Untergang durch Selbstversenkung ein 🙂
Sicher spielt für diese Entwicklung eine Rolle, wie Allen Frances mit seinem Buch durch die Lande zog, siehe hier:
Wir vermuten allerdings, dass es zwei Faktoren sind, die zu dieser Selbstzerstörung geführt haben:
Einerseits kann mit der PatVerfü seit 4 Jahren erstmals in der Welt die „Objektivität“ allen psychiatrischen Diagnonsens rechtswirksam verneint werden, eben „Geisteskrankheit – Ihre eigene Entscheidung“ für die PatVerfü-Geschützten gilt. Selbst wenn diese Möglichkeit Anfangs nur von einer kleinen Anzahl von Leuten genutzt wird, wird aber der Verlust des Objektivitätskritierium, das vorher immer durch zwangsdiagnostizierende Gewalt ersetzt werden konnte, die Psychiatrie vor den Systemabsturz stellen.
Andererseits ist sicher der Hinweis von Dr. Hans-Ulrich Gresch bedeutsam:
Hintergrund: Die Pharmaindustrie hat sich weitgehend aus der Psychopharmaka-Forschung zurückgezogen. Nennenswerte Mittel fließen nur noch in wenige, ausgewählte Projekte. Grund: Es wird immer schwieriger, die Hürden der Zulassung für neue Psychopharmaka zu überwinden. Daran gibt man der Psychiatrie die Schuld. Deren antiquierte, pseudowissenschaftliche Diagnosekriterien würden den wissenschaftlichen Fortschritt in nicht mehr tolerierbaren Ausmaß beeinträchtigen.
Kurz: Das NIMH sowie die psychiatrische Forschung allgemein müssen sich nach anderen Geldgebern umschauen. Horgan lässt dies ja durchblicken, und in früheren Beiträgen in seinem Director’s Blog lässt Insel dies im Übrigen ziemlich deutlich anklingen.
Es zeichnet sich also folgende Entwicklung ab: Während man früher nach neuen „psychischen Krankheiten“ für viel versprechende neue Wirkstoffe
aus den Laboren der Pharmaindustrie suchte, werden in Zukunft neue „psychische Krankheiten“ für Cluster von Hirnparametern gesucht, die
statistisch von der Norm abweichen. Jeder neue „Fund“ dieser Art steigert dann die Wahrscheinlichkeit weiterer Fördermittel aus staatlichen Quellen oder aus den Töpfen einschlägiger Stiftungen. Und
Die Stellungnahme Insels ist nicht mehr und nicht weniger als eine wissenschaftliche *Bankrotterklärung* der Psychiatrie.
Entsprechend hatte Psychology Today ebenfalls am 4.5. nachgesetzt:
For others still, the NIMH’s “seismic” decision represents an unmistakable “kill shot to DSM-5,” and not a moment too soon.
… die Grundfesten erschütternde Entscheidung bedeutet einen unmissverständlichen Fangschuss für den DSM-5 und das nicht einen Moment zu früh.
Und die renommierte New York Times titelt am 6.5. ebenfalls:
Psychiatry’s Guide Is Out of Touch With Science, Experts Say
Die „Schwere Identitätskrise der Psychiater: nur Okkultismus hilft“ haben wir schon vor über 5 Jahren vorhergesagt (siehe hier) und der Profession bei Ihrem Jahreskongress im November 2007 unter die Nase gerieben. So kommt´s, wenn man nicht auf uns hört 🙂
Und hier ein ergänzender Beweis für das zuvor gesagte aus dem Wochenblatt der Südwestpresse:
Bereits im Herbst 2012 hatte sich [Ministerin] Altpeter wegen der Problematik ans Justizministerium gewandt. „Wir wollten ins Gespräch kommen und zum Beispiel anregen, die Richter besser fortzubilden“, sagt ihr Sprecher. Denn eine Auflistung zeige, wie unterschiedlich Gerichte urteilten: So weise das Landgericht Mannheim (6,95 Einweisungen pro 100 000 Einwohner) statistisch fast achtmal häufiger Verurteilte in die Psychiatrie ein als etwa das Landgericht Ulm (0,88 pro 100 000 Einwohner). Die Zahlen zeigten, dass die Kriterien keineswegs eindeutig seien. Doch eine Antwort aus dem Justizressort stehe bis heute aus.
Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) wies die Vorwürfe zurück. „Die Gerichte entscheiden nach dem geltenden Recht – und das Ermessen der Richterinnen und Richter ist in diesem Bereich eng“, sagte er gestern. Bei alkohol- oder drogenabhängigen Straftätern führe „der Weg zur Besserung dem Gesetz zufolge über eine Suchttherapie“, betonte Stickelberger. Therapie könne nur in der Psychiatrie stattfinden, ein Gefängnis sei der falsche Ort.
Psychiatrischer Diagnonsens hatte noch nie Validität/Gültigkeit, er ist schiere Willkür, wie diese oben genannten Zahlen beweisen.