TAZ: Warum der Hochstapler Gert Postel Hochachtung verdient

Besser spät als nie: Helmut Höge hat sich in der TAZ vom 17.12.2011 für seine Verleumdung unseres Schirmherrn Gert Postel entschuldigt:

Echt irre
Warum der Hochstapler Gert Postel Hochachtung verdient

von Helmut Höge

Der Bremer Postbote Gert Postel ist derzeit neben dem süddeutschen Adligen Guttenberg wohl der bekannteste deutsche Hochstapler. Als „Dr. Dr. Clemens von Bartholdy“ arbeitete er als Amtsarzt in Flensburg sowie als Stationsarzt in einer psychiatrischen Klinik bei Leipzig. Nachdem er aufgeflogen war, veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Doktorspiele“.

In einem Doppelband über „Hochstapler“ der Zeitschrift Kultur & Gespenster bezeichnete ich ihn 2009 als „Charakterschwein“, weil er die ihm anvertrauten Patientinnen (Prostituierte und Suizidgefährdete) allzu rüde behandelt hatte. Er rief mich daraufhin an und beschimpfte mich. Danach versuchte er mit der Kollegin Barbara Bollwahn ins Geschäft zu kommen, aber sie war auch nicht begeistert von ihm (siehe taz vom 23. 11.).

Im Gegensatz zur Berliner Irrenoffensive: Die Initiatoren des antipsychiatrischen Weglaufhauses sowie von autonomen FU-Seminaren über den Wahnsinn sind große Fans von Postel. Sie haben den falschen Psychiater sogar für den Medizinnobelpreis vorgeschlagen. Zum 25- jährigen Jubiläum der Irrenoffensive hielt er die Festrede. Es galt einen „Sieg der Irren“ zu feiern: Der Gruppe war es gelungen, die Patientenverfügung gesetzlich durchzusetzen – die Verbindlichkeit schriftlich geäußerter Patientenwillen. Als Kern ihrer Arbeit erkannte Postel in seiner Rede, dass die „Irrenoffensive durch das Agieren als politische Gruppe Hand an die Wurzel der psychiatrischen Gewalt gelegt“ habe.

Das macht Postel auch für sich geltend: „Deutlicher als ich kann man es ja nicht machen – das System entlarven.“ Zu seinem „Spiel gehörte aber immer auch die Erhellung. Ich habe mich als Hochstapler unter Hochstapler begeben.“ Und natürlich wurde das nicht offiziell gewürdigt, sondern als Betrug aufgefasst: „Da kommt ein Postbote von der Straße und macht den Job besser als die Psychiater.“ Der Spiegel, der ihn als „Artist“ bezeichnete, berichtete, dass er als Amtsarzt in Flensburg die Zwangseinweisungsrate um 86 Prozent senkte.

Schon gleich zu Anfang in Flensburg, wo sein Vorgesetzter ihm eine Professorenstelle an der Kieler Universität verschaffen wollte, bewies Postel große fachliche Kompetenz. Als sein Chef ihn fragte, worin er eigentlich seinen Doktor gemacht habe, antwortete Postel, er habe zwei Doktortitel, einen in Psychologie, wo er über „Kognitive Wahrnehmungsverzerrungen in der stereotypen Urteilsbildung“ promoviert habe. Sein Vorgesetzter war mit dieser Antwort sehr zufrieden, dabei war es bloß eine verquaste Definition von Hochstapelei.

Eine Künstlerin, die sich im Gegensatz zu der taz-Autorin Bollwahn mit dem gefakten Psychiater verabredete, meinte hernach: „Das ist kein Hochstapler, der ist wirklich Arzt – groß, gutaussehend, redegewandt und einem ständig auf den Arsch kuckend. Und sowieso werden die dümmsten Mediziner immer Psychiater. Schon ihre Ausbildung ist lächerlich, eigentlich müsste der Studiengang ,Chemikalienkunde‘ heißen.“

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im sächsischen Landtag, Dr. André Hahn, ist sich dagegen mit der Irrenoffensive einig, dass Gert Postel „Patron der Psychiatrie-Betroffenen“ ist. Und ein echter Oberarzt gestand Postel, nachdem man ihn als Hochstapler entlarvt hatte, ihn mehr zu bewundern als zu verurteilen, denn immerhin habe er keinem Patienten geschadet. Postel entgegnete ihm nur: „Ich bin ja auch kein Psychiater.“

Ich bin ebenfalls keiner – und nehme hiermit das „Charakterschwein“ mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück.

In derselben Ausgabe der Taz befindet sich auch eine Rezension des frühesten öffentlich bekannt gewordenen Berichts über ein „Rosenham Experiments“ bzw. Wallraffens im Jahr 1887 in New York: Nellie Bly: „Zehn Tage im Irrenhaus. Undercover in der Psychiatrie“. Aus dem Englischen von Martin Wagner. Aviva Verlag, Berlin 2011, 190 Seiten, 18,50 Euro

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