Hygienemuseum
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Geschichtsfälschung im Hygiene – Museum:
Verleugnung der über 20.000 Mordopfer von 1945-49
Aufruf zu Protest und Demonstration
Das Hygiene- Museum in Dresden zeigt vom 12. Oktober 2006 bis zum 24. Juni 2007 die Ausstellung „Tödliche Medizin“ (1). In dieser Ausstellung werden aber die medizinischen Massenmorde in den Psychiatrien durch Todverhungernlassen von 1945 bis 1948/49 verschwiegen und damit die Geschichte gefälscht. Dabei handelt es sich von 1939 bis 1949 um dieselbe Gruppe der Opfer und dieselbe Gruppe der Täter und von 1945 bis 1949 um dieselben Mordmethoden wie von 1941 bis 1945. Heinz Faulstich hat in seiner Forschungsarbeit „Hungersterben in der Psychiatrie 1914 -1949“(2) dieses Morden, das unter den Augen der Besatzungsmächte andauerte, beschrieben und Erst Klee hat es in seinem Film „Sichten und Vernichten“ dokumentiert.
Im gesamtdeutschen Vergleich hatte die damalige Sowjetzone die höchsten Mordraten an den Überlebenden in den psychiatrischen Internierungslagern zu verzeichnen, wie Heinz Faulstich belegt. Wenn man die Sterbeziffern der nichtinternierten Bevölkerung den durchschnittlichen Sterbeziffern in den Anstalten in der Sowjetzone gegenübergestellt, wird offenkundig, dass die Sterberate in den Jahren 1946 und 1947 bei 24% in den Anstalten lag, dagegen waren es 2,1 bzw. 1,9% bei den Nichtinternierten, und im Jahre 1949 immer noch 9% gegenüber 1,3%.(3)
In den vier allierten Besatzungszonen summieren sich diese vom medizinischen Personal begangenen Morde zu über 20 000 Opfern in der Zeit von 1946 bis 1948/49, also nach dem Ende der Naziherrschaft.(4) Es ist davon auszugehen, daß es sich um weitaus mehr Opfer handelt. Die Fortführung der Forschung auf diesem Gebiet steht noch aus.
Dennoch sind die Allierten Befreier, denn nach einigen Jahren gingen unter den neuen Regierungen in Deutschland die Mordraten in den psychiatrischen Internierungslagern tatsächlich zurück.
Nun ein Blick auf die USA. Auch in der amerikanischen Zone starben in der Psychiatrien 9,9 % der Anstaltsinsassen im Jahre 1946; 8,0% im Jahre 1947 und 6,8% im Jahre 1948.(5) Darüber hinaus gab es für die medizinischen Opfer der ärztlichen Verfolgung in den USA kein Asyl. Angeblich „psychisch Kranke“, hätten sie der drohenden Gaskammer entkommen können, wären von den USA wieder zurückgeschickt worden, wenn sie ihre medizinische Verleumdung benannt hätten.
Zurück zur Geschichtsfälschung des Hygiene-Museums: Warum verleugnet das Hygiene Museum die Morde entgegen besseren Wissens? Am plausibelsten ist die Vermutung, daß damit die Täter geschützt und die Verbrechen der Berufsgruppe der Täter nach 1949 gedeckt werden sollen. Denn wie ging es weiter mit dieser vermeindlichen „Wissenschaft“ Psychiatrie? Welche Neuen, wieder vorgeblich „humanen“ Methoden, folgen dem Morden als angeblichen „Gnadentod“? Lobotomie, also die psychiatrische Hirnchirugie. Der Elektroschock, der bis heute angewendet wird. Der Insulinschock und als letzte Neuerung, die Verabreichung von bewußtseinsverändernden sowie den Körper schädigenden Drogen- in der Psychiatrie immer unter der immanenten Drohung von Zwang oder mit direktem Zwang: Einsperrung und Fesselung, totale Kontrolle in einer totalen Institution. Der Zwang ist das Verbindende, was bei all diesen verschiedenen Methoden gleichgeblieben ist, um die sogenannte Krankheitseinsicht zu erzielen. Und bis heute können Psychiatrie-Erfahrene in die USA nur mit der Lüge einreisen, daß ihnen bisher keine verleumderische „Geistes-krankheit“ z.B. eine sog. „Schizophrenie“ attestiert wurde.
All diese legalisierten Menschenrechtsverletzungen beginnen mit einem verleumderischen Jargon; dazu Prof. Thomas Szasz:
Schizophrenie ist ein strategisches Etikett, wie es „Jude“ im Nazi-Deutschland war. Wenn man Menschen aus der sozialen Ordnung ausgrenzen will, muß man dies vor anderen, aber insbesondere vor einem selbst rechtfertigen. Also entwirft man eine rechtfertigende Redewendung. Dies ist der Punkt, um den es bei all den häßlichen psychiatrischen Vokabeln geht: sie sind rechtfertigende Redewendungen, eine etikettierende Verpackung für „Müll“; sie bedeuten „nimm ihn weg“, “ schaff ihn mir aus den Augen“, etc. Dies bedeutete das Wort „Jude“ in Nazi-Deutschland, gemeint war keine Person mit einer bestimmten religiösen Überzeugung. Es bedeutete „Ungeziefer“, „vergas es“. Ich fürchte, daß „schizophren“ und „sozial kranke Persönlichkeit“ und viele andere psychiatrisch diagnostische Fachbegriffe genau den gleichen Sachverhalt bezeichnen; sie bedeuten „menschlicher Abfall“, „nimm ihn weg“, „schaff ihn mir aus den Augen.“(6)
Die medizinischen Menschenrechtsverletzungen finden ihren Höhepunkt im Massenmord. Ernst Klee hat es auf den Punkt gebracht: „Nicht die Nazis haben die Ärzte gebraucht, sondern die Ärzte die Nazis.“(7)
Die International Association Against Psychiatric Assault (IAAPA), die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V., der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin Brandenburg e.V., und die Irren-Offensive e.V. hatten das Hygiene – Museum aufgefordert, die Ausstellung und die dazugehörige Broschüre entsprechend diesen Tatsachen zu ändern und die Geschichtsfälschung zu unterlassen. Die Museumsleitung ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen, sondern will lediglich ihr Begleitprogramm ergänzen.
Wir rufen daher die Bevölkerung auf, gegen die Geschichtsfälschung zu protestieren und sich an der Demonstration am Tag der Eröffnung, am 11.10.2006, ab 12.30 Uhr vor dem Hygiene Museum in Dresden zu beteiligen. Um 18:00h findet die Eröffnungsfeier statt, zu der auch Innenminister Wolfgang Schäuble und der amerikanische Botschafter kommen.
Wir fordern:
- Beendigung der Geschichtsfälschung – Schluß mit dem Leugnen der über 20.000 in den Psychiatrien in Deutschland Ermordeten von 1945 – 1948/49
- Ermittlung und Veröffentlichung im Internet aller mutmaßlich 300.000 Namen der Opfer des systematischen ärztlichen Massenmordes von 1939-1949, so daß Angehörige von dem wahren Schicksal ihrer Familienmitglieder überhaupt etwas erfahren können und das allermindeste an Würde der Opfer wiederhergestellt wird, indem wahrnehmbar wird, daß die Ermordeten existierten und einen Namen hatten.
- Öffentliche Anerkennung, dass die internationale wie insbesondere die deutsche Psychiatrie wegen ihrer Massenmorde und ihres Folterregimes ein verbrecherisches Zwangssystem und keine Wissenschaft ist.
Wir weisen darauf hin, dass 1948 nach den Nürnberger Prozessen das Entsetzen über die Greueltaten der systematischen psychiatrischen Massenmorde in den Gaskammern der „Aktion T4“, die 1939 als medizinisch-biologistische Kampagne in Deutschland angefangen hat, der dann die Vernichtungslager in Polen folgten, auch ein Anlaß für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen war, um die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht gezwungen wird, als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung zu greifen.
International Association Against Psychiatric Assault (IAAPA), Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V., Israeli Association Against Psychiatric Assault, Weglaufhaus Initiative Ruhrgebiet e.V., Irren-Offensive e.V., Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg e.V., Werner-Fuß-Zentrum, Landesverband Psychiatrie-Erfahrener NRW e.V.
V.i.S.d.P.: Für IAAPA, Hagai Aviel, Spechtweg 1, 4125 Riehen, Schweiz
1 Siehe: www.dhmd.de/neu/index.php?id=835
2 Lambertus-Verlag: Breisgau 1998
3 Faulstich 1998: 670 und 713
4 vgl. Faulstich 1998: 715
5 ebd.: 713
6 aus: ‚Interview mit Thomas Szasz‘, in the New Physician, 1969
7 Ernst Klee zitiert aus seiner Rede beim IPPNW-Kongreß in Nürmberg 1997
Zitat aus
…
Ungewöhnlich ist die „Handschrift“ dieser ursprünglich auf ein amerikanisches Publikum abgestimmten Ausstellung. Klar eröffnet eine andere Herangehensweise neue Chancen – aber wenn ein Raum gekachelt und gefliest ist, wie einst in den alten Anstalten, und darin Bilder von erst untersuchten und dann ermordeten Kindern hängen, dann mag das mancher als effektheischenden Eventcharakter erachten. Da werden Orte des Schreckens zum Erlebnispark.
Die Schau hat bereits Protest erregt. Nicht von den einschlägigen „Kameraden“ aus rechten Kreisen. Es sind Aktivisten mehrerer Initiativen, darunter der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener, die Bedenken anmelden. Sie werfen den Ausstellungsmachern „Geschichtsfälschung“ und Verleugnung weiterer Opfer „ärztlicher Massenmorde“ vor, weil die Dokumentation die rund 20 000 Menschen unerwähnt lasse, die nach Kriegsende bis 1949 in deutschen Psychiatrieanstalten unter den Augen der Besatzungsmächte durch Verhungern dem Tod preisgegeben worden seien. „Dieser Teil der Geschichte ist nicht Gegenstand der Ausstellung, diese zeigt nur, was bis 1945 geschah“, erklärte dazu Museumsdirektor Klaus Vogel.
Christian Ruf